Wiesbaden/Frankfurt(pm/od). Antisemitisch und rassistisch motivierte Straftaten werden von den hessischen Staatsanwaltschaften konsequent und mit Nachdruck verfolgt. Eine neue Rundverfügung aus Januar 2022, die den hessischen Staatsanwaltschaften Leitlinien für die Verfolgung von antisemitisch oder rassistisch motivierten Straftaten vorgibt, verleiht diesem Grundsatz nun eine noch größere Geltungskraft und unterstreicht die Bedeutung der Bekämpfung dieser Straftaten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Nach der Rundverfügung ist auch bei sogenannten Privatklagedelikten in der Regel ein öffentliches Interesse an einer Anklageerhebung anzunehmen, wenn die Straftat antisemitisch oder rassistisch motiviert war. In diesen Fällen soll eine Einstellung und Verweisung des Anzeigeerstatters auf den Weg der sogenannten Privatklage nur in besonders begründeten Ausnahmefällen möglich sein. Auch bei Straftaten, deren Sanktionierung einen Strafantrag des Verletzten oder ein sogenanntes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung voraussetzt, ist nach Vorgaben der Rundverfügung ebenfalls in der Regel ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung anzunehmen und
von diesem Grundsatz nur in begründeten Ausnahmefällen abzuweichen. Verfahrenseinstellungen nach dem Opportunitätsprinzip (§§ 153 ff der Strafprozessordnung) sollen bei antisemitisch oder rassistisch motivierten Straftaten auch weiterhin nur nach sorgfältiger Prüfung und in besonders zu begründenden Ausnahmefällen erfolgen dürfen.
Weitere Vorgaben der Rundverfügung betreffen den Umgang mit Opfern und Zeugen von antisemitisch oder rassistisch motivierten Straftaten sowie eine Sensibilisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der hessischen Staatsanwaltschaften für derartige Straftaten.
Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann begrüßte die Rundverfügung der Generalstaatsanwaltschaft: „Ich möchte mich bei der Generalstaatsanwaltschaft und insbesondere der Antisemitismusbeauftragten Christina Kreis bedanken, dass die Rundverfügung zur konsequenten Verfolgung von antisemitisch und rassistisch motivierten Straftaten nach meiner Bitte umgesetzt wurde. Die Zunahme antisemitischer und rechtsextremistischer Haltungen und Handlungen beschädigt und untergräbt den von unserem Grundgesetz geschützten demokratischen Diskurs. Denn eine verächtliche und hasserfüllte Kommunikation leistet keinen Beitrag zu einer freiheitlichen Debatte,
sondern erstickt unser aller Freiheit. Daher ist es eine dringliche Aufgabe, diesen Entwicklungen durch eine wehrhafte Strafjustiz zu trotzen. Die hessische Justiz nimmt diesen Auftrag ernst, und sie nimmt ihn umfassend wahr. Dies unterstreicht die Rundverfügung des Generalstaatsanwalts.“
Stellvertretende Generalstaatsanwältin und Antisemitismusbeauftragte Christina Kreis sagte: „Neben der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, in der wir alle aufgefordert sind, gegen Antisemitismus und Rassismus Stellung zu beziehen, leistet die konsequente Strafverfolgung einen wichtigen Beitrag dazu, Betroffene gegen Anfeindungen zu schützen und sie mit ihren Verletzungen nicht allein zu lassen. Es steht für die hessischen Staatsanwaltschaften außer Frage, dass durch Straftaten, die antisemitisch oder rassistisch motiviert sind, der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört wird. Dem trägt die Rundverfügung Rechnung.“
Hintergrund:
Privatklagedelikte sind nach der Strafprozessordnung Straftaten, bei denen Verletzte das Recht haben, ohne Mitwirkung der Staatsanwaltschaft Anklage vor einem Strafgericht zu erheben (sog. Privatklage). Zu Privatklagedelikten gehören insbesondere Beleidigungsdelikte, Hausfriedensbruch, nicht qualifizierte Körperverletzungsdelikte, Nötigung, Bedrohung und Sachbeschädigung (§ 374 Strafprozessordnung). Nach § 376 Strafprozessordnung ist die Erhebung der Privatklage bei Privatklagedelikten der Regelfall. Die Staatsanwaltschaft erhebt in diesen Fällen nur Anklage, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Opportunitätsentscheidungen nach den §§ 153 ff der Strafprozessordnung, die bei sogenannten Vergehen (jedoch nicht bei Verbrechen) möglich sind, stellen im Strafverfahren eine Ausnahme zu dem grundsätzlich geltenden Legalitätsprinzip dar. Das Legalitätsprinzip bestimmt, dass grundsätzlich jede Straftat verfolgt werden muss (§ 152 Abs. 2 StPO). Nach dem Opportunitätsprinzip hingegen wird die Entscheidung, ob ein Delikt strafrechtlich verfolgt wird, in das pflichtgemäße Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt. Diese kann in bestimmten Fällen von der Strafverfolgung, insbesondere in Bagatellstrafsachen – in der Regel mit Zustimmung des Gerichts – absehen; nach Anklageerhebung entscheidet das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten bzw. Angeklagten. Das Gericht oder die Staatsanwaltschaft können in diesen Fällen die Einstellung von Auflagen, beispielsweise der Zahlung an eine gemeinnützige Einrichtung, abhängig machen.