Viele Besucher beim Rheuma-Vortrag des MVZ Frankenberg

Bewegung ähnlich wirksam wie medikamentöse Therapie

Frankenberg(pm). Das MVZ Frankenberg hatte am 13. Oktober zu einem Patientenvortrag eingeladen. Der Rheumatologe und Osteologe Dr. Dr. med. Gabriel Dischereit sprach über das Thema „Rheuma und Bewegung – der Muskel als Apotheke des Körpers“. Der Zuschauerandrang war sehr groß, denn es gibt sehr viele Rheuma-Patienten in Deutschland. Die Besucher waren gespannt auf aktuelle Erkenntnisse aus der Rheuma-Forschung zu der Frage, wie sich Sport therapeutisch nutzen lässt. Sie wurden nicht enttäuscht – Dr. Dr. Dischereit gelang es, das Publikum in einen span-nenden Vortrag einzubinden und das Thema leicht verständlich zu präsentieren.
1,8 Millionen Rheuma-Patienten in Deutschland
Zunächst gab Dr. Dr. Dischereit einen Überblick über die verschiedenen rheumatischen Erkrankungen, die Diagnostik und ihre Abgrenzung von orthopädischen Problemen wie beispielsweise einer Arthrose (bei der de-generative Veränderungen die Ursache von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen sind). Bei den rheumatischen Beschwerden handelt es sich um chronisch verlaufende Autoimmunprozesse. Das bedeutet, das körpereigene Immunsystem ist fehlgesteuert und sorgt für Entzündungen an verschiedenen Stellen im Körper. Nach aktuellen Zahlen leiden 1,8 Millionen Deutsche an entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, davon sind 20.000 Kinder betroffen. Rheumatologe Dischereit erklärte anschaulich, wie Botenstoffe des Immunsystems, sog. Zytokine, die Entzün-dungsreaktion steuern. Es gibt sowohl Zytokine, die Entzündungen fördern, als auch solche, die sie begrenzen. Bei rheumatischen Erkrankungen befinden sich diese nicht im Gleichgewicht: Die Zytokine, die die Entzündung befeuern, haben die Oberhand. Die medikamentöse Therapie kann Schmerzen lindern und die Entzündungsreaktion drosseln, doch sie stößt an Grenzen. Nur bei gut einem Drittel der Patienten kann sie die chronische Erkrankung komplett und dauerhaft zum Stillstand (Fachbegriff: in Remission) bringen. Häufig sind weitere Maßnahmen wie Physio-, Ergo- und Bewegungstherapien erforderlich.


Die WHO empfiehlt 2,5 Stunden Sport pro Woche
Dischereit zeigte zunächst die allgemeinen Empfehlungen der WHO, wie viel Bewegung notwendig ist, um negative Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebenserwartung zu vermeiden. Danach sollte sich jeder Mensch etwa zwei-einhalb Stunden in der Woche moderat bewegen (zum Beispiel walken, Rad fahren, schwimmen). Alternativ reicht die Hälfte der Zeit bei anstrengender Belastung (Kraft- oder Ausdauertraining, Joggen).  Dr. Dischereit fragte das Publikum, wer dieses Maß tatsächlich erreiche. Nur sehr wenige Hände wurden gehoben. In Deutschland liegt die Quote derjenigen, die die Empfehlung nach eigenen Angaben erfüllen, bei 50–60 %. Unter den Rheuma-Patienten aber nur bei etwa 25 %. Dies liegt vermutlich daran, dass Betroffene die Bewegung bei Schmerzen vermeiden und die entzündeten Körperteile schonen wollen, sowie daran, dass bei vielen bereits krankheitsbedingte Funktionseinschränkungen und muskuläre Defizite vorliegen.


Das Potenzial des Muskels als Apotheker
Doch gerade für Rheuma-Patienten steckt im Sport ein großes Potenzial, die Symptomatik zu verbessern. Der Muskel selbst ist der Schlüssel hierzu, denn er wird durch Bewegung angeregt, entzündungshemmende Zytokine zu bilden, die hier Myokine genannt werden. Die Myokine sind hormonähnliche Botenstoffe, die im ganzen Organsystem, in den Knochen, im Darm, an den Blutgefäßen bis hin zum Gehirn positive Impulse setzen und deren gesunde Funktion unterstützen. Hierzu zählen insbesondere die Regulierung des Glucosestoffwechsels auf mehreren Ebenen, der Abbau des besonders negativen viszeralen Fettes (dieses liegt tief im Bauchraum, direkt um die Organe), die Erhaltung der Flexibilität der Blutgefäße sowie die unmittelbare positive Beeinflussung von Zellen des Immunsystems. Die Erkenntnisse über positive Effekte einer regelmäßigen Aktivierung der Skelettmuskulatur, unter anderem über eine Freisetzung von Myokinen, sind noch relativ jung, doch sie sind so beeindruckend, dass sie zu einem Paradigmenwechsel in den Leitlinien der Rheuma-Behandlung beigetragen haben, wo früher oft zu Schonung geraten wurde. Jedem Rheuma-Patienten wird nun regelmäßiges körperliches Training empfohlen, denn die entzündungshemmende Wirkung entfaltet ein vergleichbares Potenzial wie die pharmakologische Therapie. In Kombination wirken medikamentöse und Sportthera-pie synergistisch, sie verstärken sich gegenseitig. In einer zweijährigen Studie mit sportlich sehr aktiven Rheumapatienten war die Zunahme der im Röntgenbild darstellbaren Knochenschäden in den betroffenen Gelenken geringer als in der Kontrollgruppe, die kein intensives Training absolvierte.


Motivation und individueller Trainingsplan
In der Praxis bedeutet dies, dass jeder Rheuma-Patient von seinen behandelnden Ärzten immer wieder motiviert werden sollte, sich regelmäßig zu bewegen. Sinnvoll ist es, einen an die aktuelle körperliche Verfassung und Funktionskapazität angepassten individuellen Trainingsplan zu erstellen, welcher auch Begleiterkrankungen (z.B. des Herz-Kreislauf-Systems) berücksichtigen sollte. Bei Funktionseinschränkungen können zusätzlich auch physio- bzw. ergotherapeutische Behandlungsmaßnahmen sinnvoll sein, die bei entsprechender Grunderkrankung, extrabudgetär verordnet werden können. Die Besucher dankten  Dr. Dischereit mit kräftigem Applaus für seinen sehr informativen und kurzweiligen Vor-trag. Es schloss sich ein reger Austausch mit dem Publikum an. Der Rheumatologe beantwortete individuelle Fragen leicht verständlich und mit großer fachlicher Expertise.