Vöhl-Herzhausen(nh). Im November kamen 18 Bildungsexperten aus sechs deutschen Nationalparken, der Naturschutzverbände NABU und BUND sowie von EUROPARC Deutschland e.V. für zwei Tage in den Kellerwald, um beim Nationalpark-Partner Jugendburg Hessenstein sowie im NationalparkZentrum Kellerwald über moderne Bildungsarbeit in Wildnisgebieten zu diskutieren und sich über neue Konzepte auszutauschen.
Im Mittelpunkt der Tagung stand die Weiterentwicklung von Angeboten der Wildnisbildung, die zur Kernaufgabe der Bildungsarbeit in Nationalparks gehört. „Das Kontrasterleben verwildernder Natur, in die der Mensch nicht mehr eingreift, kann dazu beitragen, über den Umgang des Menschen mit der Natur und eine nachhaltige Entwicklung nachzudenken“, erklärte die stellv. Nationalparkleiterin Jutta Seuring. Hierbei spielten besonders die Aspekte des eigenen Lebensstile und des Schutzes der biologischen Vielfalt eine wichtige Rolle. Ausgehend von den Erfahrungen mit innovativen Bildungsprojekten wie „Waldscout – Wildnisexpedition“ im Nationalpark Kellerwald-Edersee und „Wildnis macht stark“ im Nationalpark Harz befassten sich die Akteure mit neuen Methoden und Konzepten wie dem aus den USA stammenden „Coyote-Teaching“, die künftige Bildungsangebote in Verwilderungsgebieten bereichern sollen. „Das Coyote-Teaching setzt auf uralte Lernformen von indigenen Völkern und versucht, sie für die heutige Bildungsarbeit fruchtbar zu machen“, erläuterte der Geschäftsführer der Jugendburg Hessenstein, Berthold Langenhorst. Im Fokus des auch „Natural Mentoring“ bezeichneten Ansatzes stehe die Idee, dass Bildung im Kern stets als Stiftung von Beziehungen zu anderen Menschen und der Mitwelt verstanden werden müsse. Dieser konzeptionelle Ansatz finde sich auch in aktuellen wissenschaftlichen Lerntheorien wieder. „Für die Bildungsarbeit in Nationalparks lohnt es sich deshalb, alte und neue Lernverständnisse zusammenzudenken“, so der Biodidaktiker Langenhorst. Ein beziehungs-orientiertes Bildungsverständnis sollte sowohl Kurzzeit-Programmen wie Nationalpark-Führungen als auch erlebnispädagogischen Projekten mit Biwak-Übernachtungen im Wald zugrunde liegen. Auf der Tagung wurden zudem aktuelle Bildungsprojekte aus den sechs beteiligten Nationalparks Kellerwald-Edersee, Harz, Bayerischer Wald, Hainich, Eifel und Schwarzwald sowie von EUROPARC, dem Dachverband der deutschen Großschutzgebiete, vorgestellt und diskutiert. Die Schutzgebietsmitarbeiter des Nationalparks Kellerwald-Edersee Erika Hofmann, Horst Knublauch und Tatiana Habich präsentierten die drei neuen Angebote „Wildnistour mit dem Waldökologen“, „Wildnisnacht im Nationalpark“ und „WildnisProzesse zum Anfassen“. Zum Abschluss der Tagung bot Jutta Seuring allen Teilnehmern eine informative Führung in die Wildnis des UNESCO-Weltnaturerbes „Buchenurwälder der Karpaten und Alte Buchenwälder Deutschlands“ an.
Beim nächsten Treffen der AG Wildnisbildung am 11. und 12. April 2016 im Nationalpark Schwarzwald stehen die Konzeption eines einheitlichen Rahmenkonzeptes zur Wildnisbildung sowie die Weiterentwicklung von Kurzzeitprogrammen auf der Agenda.
AG Wildnisbildung
Zum Abschluss des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Bildungsprojektes „Waldscout – Wildnisexpedition“ trafen sich im Jahr 2012 über hundert Wildnisbildner aus ganz Deutschland am Nationalpark Kellerwald-Edersee. Während der Fachtagung „Wildnis und Bildung für nachhaltige Entwicklung“ tauschten sie sich bei Vorträgen, Workshops und Podiumsdiskussionen über aktuelle Bildungsprojekte aus und diskutierten die Erfahrungen des Wildnisbildungs-Projekts. Um die Wildnisbildungs-Aktivitäten künftig bundesweit besser zu koordinieren, wurde auf der Tagung eine „Initiative zur Wildnisbildung“ gegründet, der neben dem Nationalpark Kellerwald Edersee und dem NABU Hessen auch die Nationalparks Hainich, Harz, Sächsische Schweiz, Müritz, Bayerischer Wald und Eifel sowie der BUND Niedersachsen angehören. Aus dieser Initiative bildete sich die Arbeitsgruppe Wildnisbildung, die in diesem Frühjahr bereits im Nationalpark Harz und im September zu einer Fortbildung im Nationalpark Hainich tagte. Mehr Informationen zur Wildnisbildung und zum Waldscout-Projekt gibt es unter www.nationalpark-kellerwald.de und www.waldscout.de.
Coyote-Teaching
Coyote-Teaching ist eine besondere Lehrform, die seit Jahrhunderten von amerikanischen Ureinwohnern sowie anderer Naturvölker angewendet wird. Der Coyote ist dabei vergleichbar mit Reinecke Fuchs aus den europäischen Fabeln. Beide Tiere symbolisieren Intelligenz und Raffinesse, gelten als listig, sind stets zu Scherzen aufgelegt und voller Lebensfreude. Beim Coyote-Teaching unterrichtet ein Lehrer seine Schüler nicht, indem er ihnen sein Wissen weitergibt. Vielmehr begleitet er sie auf ihren eigenen Lernwegen. Coyote-Teaching beruht auf einer Neugierde schürenden Fragetechnik, die sich den Kenntnissen und Fähigkeiten der jeweiligen Schüler anpasst, eingebettet in eine respektvolle, achtsame und altersübergreifende Gemeinschaft.
Es gibt drei unterschiedliche Fragetypen, mit denen Lehrer ihre Schüler an neue Aufgaben heranführen:
1) Eine Frage, die der Schüler mit Sicherheit beantworten kann. Dadurch soll das Vertrauen in das bereits vorhandene Wissen gefestigt werden.
2) Eine Frage, die etwas kniffliger ist, aber vom Schüler noch gelöst werden kann. Der Schüler soll sich mit der natürlichen Umgebung auseinandersetzen und sich mit der eigenen Natur vertraut machen.
3) Eine Frage, deren Antwort er nicht weiß. Hierdurch soll das Interesse an neuen Themengebieten entdeckt werden, evtl. ungewohnte Lösungsstrategien entwickelt sowie persönliche Grenzen und alte Denkmodelle überwunden werden.