Landrat Reinhard Kubat zum 8. Mai 1945

Landrat Dr. Reinhard Kubat(SPD)

Am 8. Mai gedenken wir des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa. Die Form des Gedenkens ist sicher unterschiedlich, aber egal ob Sieger oder Besiegte, alle Seiten haben eine unvorstellbar hohe Zahl an Opfern zu beklagen.
Schon in seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes hat der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 die Frage aufgeworfen, ob nicht auch für uns Deutsche der 08. Mai ein Tag der Befreiung war, ungeachtet der Tatsache, dass für viele Menschen damit erst eine Leidenszeit begann, in Gefangenschaft, durch Unrecht und Vertreibung, durch Not und Hunger. Es bleibt aber die Gewissheit, dass an diesem Tage auch die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten ihr Ende fand und Deutschland von einer Diktatur befreit wurde, die in abscheulicher Weise den Idealismus der Menschen ausgenutzt und für die eigenen verbrecherischen Ziele missbraucht hatte. Wenn man die Berichte von Zeitzeugen hört oder liest, dann hat man den Eindruck, dass vor allen die Erleichterung vorherrschte, dass alles vorbei war, der Terror, die Bombennächte, die andauernde Bedrohung, die von einem übermächtig gewordenen Feind ausging. Auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Waldeck-Frankenberg hatte der Krieg weniger stark gewütet als anderswo, hier waren die Schäden nicht ganz so verheerend. Gewiss hatten die Zerstörung der Edertalsperre und die damit verbundene Überflutung zahlreiche Opfer gefordert und die Brutalität des entfesselten Krieges auch den Menschen bei uns offenbart. Aber wir sind letztlich doch der vollkommenen Zerstörung entgangen, der mehr als 160 deutsche Städte durch den Bombenhagel der alliierten Luftwaffe zum Opfer fielen. Darunter auch Kassel, unser nordhessisches Oberzentrum. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass die Menschen froh waren, dass die Schrecken ein Ende hatten, auch wenn die Ungewissheit blieb, welches Schicksal die Sieger den Besiegten bereiten würden. Aus heutiger Sicht ist der 8. Mai 1945 vor allem der Tag, an dem eine der längsten Friedensperioden in unserer Geschichte begann. 70 Jahre, ein Menschenleben lang, dürfen wir bereits in Frieden, Freiheit, Wohlstand und Fortschritt leben. Das ist das Geschenk, welches uns das Kriegsende gebracht hat, für dessen Bewahrung wir aber auch wachsam und entschlossen eintreten müssen. Den Frieden erhält nur, wer sich aktiv für ihn einsetzt. Eine der wichtigsten Grundlagen, auf denen der Friede gedeihen kann, ist Gerechtigkeit. Wenn wir erkennen, dass wir in einer bevorzugten Situation leben, wie sie nur einer kleinen Anzahl von Ländern in der Welt vergönnt ist, so müssen wir zugleich auch die Verpflichtung erkennen, die daraus für uns resultiert. Es ist ein Wesensmerkmal der Gerechtigkeit, sich um Benachteiligte zu kümmern und mit ihnen zu teilen. So wie es unsere Eltern und Großeltern auch nach dem Ende des Krieges getan haben, als die Menschen zu uns kamen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden oder vor der Gewalt hatten flüchten müssen. 1950 lebten auf dem Gebiet des heutigen Waldeck-Frankenberg rund 144.000 Menschen. Fast 30.000 davon, also gut 20 Prozent, waren Heimatvertriebene. Das war eine ungeheure Integrationsleistung, die uns noch heute als Orientierung gelten kann. Auch jetzt kommen wieder Menschen zu uns, die vor Not und Verfolgung fliehen mussten. Diesen Menschen Schutz und Hilfe zu gewähren, ist meines Erachtens eine Verpflichtung, die uns die eigene Geschichte auferlegt, die aber jeder von uns auch als selbstverständlich empfinden sollte. Indem wir hier für Gerechtigkeit sorgen, bewahren wir das Geschenk der Freiheit, das uns der 08. Mai 1945 gebracht hat, und wir können es an künftige Generationen weitergeben, damit diese Periode des Friedens noch lange über die bisherigen 70 Jahre andauern und hoffentlich niemals mehr enden möge.

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