Europaweiter Streuobstwiesentag: Kultur braucht Pflege von Anfang an

Kassel(pm). „Als Immaterielles Kulturerbe anerkannt, wird den artenreichen Streuobstwiesen öffentliche Wertschätzung verliehen. Diese sollte sich aber auch in der entsprechenden Pflege widerspiegeln“, konstatiert Beate Reichhold-Appel, Leiterin der Hessischen Gartenakademie (HGA) beim Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) und weist auf den oft desolaten Zustand der Biodiversitätshotspots hin. „Streuobstwiesen sind durch Menschenhand entstanden, weshalb diese Kultur zeitlebens Pflege benötigt. Vor allem in den ersten 10 bis 12 Jahren braucht ein junger Hochstamm-Obstbaum ausreichend Pflege, damit er gut anwachsen und sich zu einem alten, landschaftsprägenden Obstbaum entwickeln kann“, so Reichhold-Appel weiter. Die Expertin erläutert, am Tag der Streuobstwiesen, grundlegende Aspekte zur Neuanpflanzung und gibt Denkanstöße für das Konzept „Streuobstwiese“.


Kultursorten haben hohe Ansprüche
Streuobstwiesen gelten heute als Extensiv-Standorte und dienen häufig als ökologischer Ausgleich für den Wegfall von naturnaher Fläche durch Baumaßnahmen in Städten und Gemeinden. Neuanpflanzungen werden meist auf Flächen vorgenommen, die anderweitig landwirtschaftlich nicht nutzbar sind. „Allerdings wird außer Acht gelassen, dass die heutigen Obstbäume Kulturpflanzen mit erhöhten Ansprüchen sind und keine Wildgehölze mehr. Auch Bäume, die mit alten Obstsorten veredelt sind, sind nicht anspruchsloser als Neuzüchtungen“, schildert die Expertin. So braucht das Kernobst (Apfel und Birne) durchlässige Böden und eine gleichmäßige Wassernachlieferung und leidet eher auf sommertrockenen Standorten. Im Vergleich dazu verträgt Steinobst (z.B. Kirsche oder Pflaume) trockenere Standorte, jedoch nur auf entsprechender Unterlage, braucht aber ebenfalls den Wasseranschluss.


Pflege nach Pflanzung nicht versäumen
Neupflanzungen sollten nicht sich selbst überlassen werden. Der Pflanzschnitt und die folgenden Erziehungsschnitte setzen den Grundstock für das gesamte Baumleben, das, je nach Unterlage, bei Birnen beispielsweise bis zu 150 Jahre betragen kann. Der essentielle Pflanzschnitt fördert den Neuaustrieb und legt das Grundgerüst, also Anzahl und Stellung der Leitäste, fest. Je nach Wuchskraft der Sorte muss bei Hochstämmen weitere acht bis zehn Jahre jährlich ein Erziehungsschnitt erfolgen. „Gräser und Kräuter sind schnellwüchsig und stehen in Konkurrenz zum Jungbaum. Um das Wachstum des Baumes mit noch geringem Wurzelwerk zu fördern, muss die Baumscheibe freigehalten werden. Auch sollte die Stabilität der Baumpfähle und die Anbindung regelmäßig kontrolliert werden“, zählt die Fachfrau beispielhaft auf.

Mangelnde Pflege: Baumscheibe zugewuchert, Pfahlanbindung Fehlanzeige. Foto:LLH


Klimawandel: Neuanlage von Streuobstwiesen neu denken?
Die Klimaveränderung hin zu mehr sommertrockenen Jahren verstärkt bei Jungbäumen das Problem des Kümmerwuchses, der auf eine andauernde Unterversorgung mit Nährstoffen und Wasser zurückzuführen ist. Jungbäume müssen auf Standorten mit geringer Wassernachlieferung sowie in trockenheißen Sommern bewässert werden, damit sie ein tiefes Wurzelwerk entwickeln; von Zeit zu Zeit
sollte bedarfsgerecht nachgedüngt werden. Unter dem Aspekt der Klimaveränderung und dem zunehmenden Absterben von Jungbäumen stellt sich daher die Frage, ob Neuanpflanzungen von Kulturobstbäumen auf extensiven Standorten, wie magere Wiesen, noch vertretbar sind. „Soll die Streuobstwiese vorrangig dem Artenschutz dienen, könnten blühende und fruchtende Wildgehölze die ökologische Funktion als Nahrungsquelle und Nistplatz besser erfüllen. Sie sind anspruchsloser und anpassungsfähiger gegenüber Klimaveränderungen sowie weniger pflegeintensiv“, erklärt Reichhold-Appel. Felsenbirnen (Amelanchier spec.), Steinweichsel (Prunus mahaleb) und Vogel-Kirsche (Prunus avium) eignen sich für trockene Lagen; die Kultursorten Speierling (Sorbus domestica) oder Elsbeere (Sorbus aucuparia) beispielsweise für frische bis feuchte Lagen.

st eine kontinuierliche, reiche Obsternte das prioritäre Ziel, sollten regelmäßig Jungbäume nachgepflanzt bzw. abgängige Bäume ersetzt werden. Foto:LLH

Bis zum Ende denken: Streuobstwiesen sind Generationenprojekte
Vor der Anlage einer Obstwiese sollte also geklärt werden, welches Ziel vorrangig verfolgt wird (reiche Obsternte oder Artenschutz), ob
der Standort geeignet ist und ob die initiale, jahrelange Pflege gewährleistet werden kann. Hinzu kommt: Das Projekt Streuobstwiese ist über Generationen angelegt, weil selbst bei guter Pflege Hochstammbäume erst ab dem 15. Lebensjahr in den Ertrag kommen. „Erfreulicherweise steigt das Interesse an Streuobstwiesen wieder – das zeigt auch die große Nachfrage nach unseren Schnittkursen durch Ehrenamtliche“, teilt die Leiterin der HGA mit. „Unser Tipp an alle, die die Anlage einer Streuobstwiese planen: Neben dem Besuch von Schnittlehrgängen sollte dieses Vorhaben nicht alleine angegangen werden. Holen Sie sich Unterstützung bei Streuobstinitiativen, Pomologenvereinen, Obst-und
Gartenbauverbänden sowie Naturschutzgruppen.“

Die HGA bietet Seminare zum Pflanz- und Erziehungsschnitt an (https://llh.hessen.de/pflanze/freizeitgartenbau/seminare-und-
fortbildungen-im-freizeitgartenbau/) und gibt Tipps am Gartentelefon unter 0049 561 7299377. Weitere Informationen zu Streuobstwiesen und deren zur Pflege findet man unter: https://llh.hessen.de/bildung/gartenakademie/streuobstwiesen-zukunft-nur-mit-nutzung-und-pflege/.

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