Lebensmittelüberwachung des Landkreises

„Offenen Brief Lebensmittelüberwachung“ der Kreistagsfraktion der Freien Wähler

Ihr Schreiben vom 10. August 2020

Sehr geehrter Herr Steuber,

in lhrem o.g. Schreiben bitten Sie um Aufklärung darüber, welche Konsequenzen wir aus dem sogenannten „Wilke-Skandal“ gezogen und welche Schritte wir als Landkreis unternommen haben, um unsere Lebensmittelaufsicht zu stärken und eine noch effizientere Aufgabenerfüllung
zu gewährleisten. Lassen Sie mich zunächst einmal meine Verwunderung
darüber ausdrücken, dass Sie dafür die Form eines offenen Briefes gewählt haben. Als Mitglied des Kreistages hätten Sie eine Reihe von Möglichkeiten gehabt, sich die gewünschten Informationen zu beschaffen und dabei gleich den Kreistag in seiner Gesamtheit auf den aktuellen Wissensstand zu bringen.
Der Berichterstattung über die Kreisversammlung der Freien Wähler in der Waldeckischen Landeszeitung vom 24. August 2020 konnte ich entnehmen, dass Sie sich per Brief eine schnellere Auskunft erhoffen – eine Annahme, die mich schon etwas verwundert hat, denn immerhin befanden wir uns zum Zeitpunkt, als der Brief versandt wurde, noch mitten in der Ferienzeit und die nächste Kreistagssitzung findet bereits am 11. September statt. Sie beziehen sich in lhrem Schreiben auf meine Aussage in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk (Hessenschau vom 24. Juli 2020), dass wir bei den Aufgabenstellungen der Lebensmittelüberwachung „nicht ganz nachgekommen“ seien. Das ist im Prinzip richtig, was ich damit aber deutlich machen wollte, war, dass dies auf nahezu alle der knapp 400 deutschen Lebensmittelüberwachungsbehörden zutrifft Auskunft des online-Portals tagesschau. de vom 11. Dezember 2019, das sich ausdrücklich auf eine Erhebung der Verbraucherschutzorganisation „Foodwatch“ bezieht). In Hessen fanden 2018 im Durchschnitt nur 72 Prozent der routinemäßigen Kontrollen statt. Auch hier bildet unser Landkreis keine Ausnahme (hr.de am 18. November 2019).Angesichts dieser Befunde stellt sich vielmehr die Frage, ob nicht das System an sich reformbedürftig ist. Der Hessische Landkreistag hatte am 31. Juli 2018, also lange vor dem Wilke-Skandal, in einem Schreiben an das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz darauf hingewiesen, dass der Bereich der Lebensmittelüberwachung seit der Kommunalisierung im Jahre 2005 unter einer chronischen Unterfinanzierung leide. Die Erstattungen des Landes seien von Beginn an „nicht auskömmlich berechnet“ gewesen, heißt es dort wörtlich. Gegenseitige Schuldzuweisungen bringen uns aber in dieser wichtigen Thematik nicht voran. Deshalb haben wir als Landkreis zusammen mit dem Ministerium und dem Regierungspräsidium Kassel unsere Lehren aus den Erfahrungen mit Wilke gezogen und gemeinsame Ziele formuliert. Damit reformieren wir das System noch nicht, aber wir können es optimieren
und effizienter gestalten. Das Papier enthält eine Reihe von konkreten Vereinbarungen wie verstärkte gemeinsame Kontrollen durch die Lebensmittelüberwachung und die Fachaufsicht (RP), eine noch schärfere
Überwachung des Eigenkontrollsystems der Betriebe, eine Intensivierung der interdisziplinären Arbeit insbesondere zwischen Veterinär- und Gesundheitsbehörde sowie verstärkte Bemühungen um Aus- und Weiterbildung der Lebensmittelkontrolleure. Das sind nur einige zentrale Punkte aus dem gemeinsamen Papier, die aber keineswegs Anspruch
auf Vollständigkeit erheben. Und wir haben unmittelbar mit der konkreten Umsetzung der Vereinbarungen begonnen. So gab es in den vergangenen Wochen bereits mehrere Kontrollen in größeren fleischverarbeitenden Betrieben des Landkreises, die von Veterinär-und Gesundheitsbehörde gemeinsam durchgeführt wurden, vereinbarungsgemäß unter Einbeziehung
der Fachaufsicht (RP). Auch intern wurden Veränderungen im Rahmen der Oberwachungstätigkeiten vollzogen, z. B. Verschärfung der Rotation, vermehrtes Vier-Augen Prinzip. Auch die personelle Ausstattung der Lebensmittelkontrolle wurde von uns bereits verbessert und wird noch weiter verbessert werden. In den Jahren 2018 und 2019 gab es taut Stellenplan
jeweils 5 Stellen, 2020 haben wir den Plan um eine weitere Stelle erhöhen können, so dass er nun 6 Planstellen aufweist. Allerdings befindet sich eine der Lebensmittelkontrolleurinnen derzeit komplett in Elternzeit, ein weiterer Kontrolleur ist aktuell nur in Teilzeit tätig. Eine Mitarbeiterin aus diesem Bereich ist gerade in die Freistellungsphase der Altersteilzeit gewechselt, diese kann aber in absehbarer Zeit durch eine derzeit in Ausbildung befindliche Person ersetzt werden. Bei den Tierärzten hatten wir 2018 und 2019 jeweils 4,5 Stellen (4 Beamte, eine Beschäftigte). Auch hier konnten wir eine zusätzliche Stelle schaffen und bereits besetzen. Neben der Tierseuchenbekämpfung wird sich die Stelleninhaberin künftig auch um die Lebensmittelkontrolle kümmern. Damit stehen dann 6 beamtete Tierärzte zur Verfügung. Im Bereich der Lebensmittelkontrolle ist es schon seit geraumer Zeit besonders schwierig, Personal zu finden. Daher haben wir uns auf den Weg der hausinternen Ausbildung gemacht, um die personelle Ausstattung im Bereich der Lebensmittelüberwachung dauerhaft und nachhaltig zu verbessern. Aktuell haben wir zwei Stellen ausgeschrieben, jeweils eine
für einen bereits fertig ausgebildeten Lebensmittelkontrolleur und eine zur Ausbildung. Im Zuge der personellen Aufstockung müssen auch bauliche Änderungen im Fachdienst durchgeführt werden. Das bedeutet einen erheblichen Investitionsbedarf für den Landkreis. Bereits im Frühjahr 2020 haben wir unmittelbar damit begonnen, Umbauarbeiten am Standort
„Osterweg“ durchzuführen. Es entstehen zwei neue Büros und Parkplätze für zusätzliche Dienstwagen, die Kosten betragen ca. 20.000 Euro. Zudem können an dem Standort durch Umnutzung sofort zwei weitere Büros hergestellt werden, die sich in einem Bereich befinden, der zuvor von den Landfrauen genutzt wurde. Die Mittel hierfür stehen zur Verfügung.
im Hinblick auf die Erhöhung der Sachkosten lässt sich derzeit noch kein abschließender Betrag benennen, aber auch in diesem Bereich sind wir tätig geworden. So werden in 2021 beispielsweise zwei neue Dienstfahrzeuge beschafft, um die Mobilität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhöhen, was angesichts der Größe des Landkreises dringend geboten erscheint.
lch bin sicher, Sie werden angesichts der von mir dargestellten Verbesserungen ebenfalls zu der Einsicht gelangen, sehr geehrter Herr Steuber, dass wir die Ereignisse um den Lebensmittelskandal um die Firma Wilke sorgfältig aufgearbeitet und die richtigen Konsequenzen gezogen haben. Wir werden zu gegebener Zeit eine Evaluation durchführen, um zu überprüfen, inwieweit sich die getroffenen Maßnahmen bewährt haben oder wo wir ggf. noch nachsteuern müssen. Gleichwohl sollten wir mit den übergeordneten Ebenen bis hin zum Bund in einen Austausch über eine Reform der Lebensmittelkontrolle treten. Nicht nur wünschenswert, sondern sogar notwendig wäre eine bessere finanzielle Ausstattung der ausführenden Ebene, also in der Regel der Landkreise und kreisfreien Städte, sowie eine Überarbeitung des QM-Systems, das nach Feststellung des Landkreistages im oben bereits zitierten Brief in Hessen „seit Jahren nicht mehr aktualisiert wurde und … nicht mehr die Anforderungen der Vollzugstätigkeiten
erfüllt“. lch bin jedoch überzeugt davon, dass dies bereits erkannt und in Angriff genommen wurde. Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass selbst eine lückenlose und engmaschige Überwachung nicht verhindern kann, dass Vorkommnisse wie bei der Firma Wilke erneut passieren. Besonders dann, wenn der zu Kontrollierende nicht kooperiert oder mit krimineller Energie vorgeht.
lch denke, es bringt uns nicht weiter, sehr geehrter Herr Steuber, wenn wir immer und immer wieder in der Vergangenheit graben und das Geschehene stets von neuem in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wird, vor allem dann nicht, wenn dies aus durchschaubarem politischen Kalkül geschieht. Wir haben gelernt und verstanden und wollen nun nach vorne schauen, um Vergleichbares so weit wie möglich auszuschließen. Es wäre begrüßenswert
und mit Sicherheit im lnteresse der Bürgerinnen und Bürger des Landkreises, wenn Sie und die Freien Wähler diesen Weg gemeinsam mit uns beschreiten würden.


Mit freundlichen Grüßen
Landrat Dr. Reinhard Kubat

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