Frankenberger Jusos erinnerten an die Opfer der NS-Pogromnacht 1938
Frankenberg(Karl-Hermann Völker/nh). Kerzen brannten in der Rathausschirn an der Gedenktafel für 38 Frankenberger Opfer des Nationalsozialismus. Fotos, Zeitzeugenberichte sowie ein historisches Emailleschild für Auswanderer-Schiffspassagen nach Amerika erinnerten an den Kaufmann Samson Dilloff, dem selbst als einem der letzten jüdischen Bürger die rettende Emigration in die USA gelang. Dann verteilten sich die Frankenberger Jungsozialisten in der Altstadt, suchten dort sämtliche Stolpersteine auf und reinigten sie.
„Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, alljährlich mit einem Rundgang und dem Putzen der Stolpersteine an die Pogromnacht des 9. November 1938 zu erinnern, als hier in Frankenberg die jüdischen Bürger in Angst und Schrecken versetzt wurden“, erklärte Hendrik Klinge, Vorsitzender der SPD Frankenberg und stellvertretender Vorsitzender der Jusos Waldeck-Frankenberg. Das Vergegenwärtigen des NS-Rassismus und der Opferschicksale von damals sei dringend notwendig angesichts neuer Formen von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft, sagte Klinge.
In der Rathausschirn berichtete der Zeitzeuge Fritz Neuschäfer von der Pogromnacht 1938, als Frankenberger Nazis Synagoge und Wohnungen jüdischer Bürger stürmten, die Familienväter verhafteten und das Inventar zerstörten. „Sogar die Bettbezüge wurden aufgeschlitzt, dass die Federn durch die Straßen flogen“, schilderte der 91-Jährige. Am Folgetag wurden die in „Schutzhaft“ genommenen Männer über Kassel in das KZ Buchenwald verschleppt. Besonders gewürdigt wurde während der Gedenkveranstaltung in der Rathausschirn die Rolle von Samson Dilloff, der als Sozialdemokrat zusammen mit Friedrich Kugel vor 100 Jahren in Frankenberg den Beginn der Weimarer Republik begleitete und 13 Jahre lang als SPD-Magistratsmitglied kommunalpolitisch aktiv war, bis ihm am 12. März 1933 SA-Leute den Zutritt zum Sitzungssaal verwehrten und er laut Protokoll „unentschuldigt“ fehlte. Mit seiner Schiffs-Agentur verhalf er 1937 noch vier Frankenbergern zur Ausreise nach Amerika, die ihm mit Familie und dem Großneffen Fritz Bachenheimer aus Röddenau selbst noch 1938 gelang.
Am Stolperstein vor dem Haus Untermarkt 16 würdigten die Rundgänger Karl Richter, der als SPD-Widerstandskämpfer nach seiner Flucht in Spanien gegen das Franco-Regime kämpfte. Er wurde vor 75 Jahren im KZ Majdanek ermordet. Erinnert wurde auch an seine kürzlich verstorbene Großnichte Margarete Fontenot geb. Kornemann, die als Zeitzeugin an früheren Gedenkveranstaltungen teilgenommen hatte. Im Anschluss lud die SPD-Landtagsabgeordnete Dr. Daniela Sommer alle Teilnehmer im Parteibüro am Obermarkt zu einem Kaffeetrinken ein. Unter dem Motto „Wegschauen oder Widerstand“ schilderten Bilder und Texte Greta Rapp, Dr. Hermann Reis und Bürger, die NS-Verfolgten zu helfen versuchten. „Mut und Zivilcourage sind auch heute wieder gefragt“, sagte Dr. Sommer. „Wir wollen nicht wegschauen, sondern uns engagieren!“