Leitung der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Haina informiert Beirat
Haina (Kloster)Rouven Raatz/nh. Über „psychisch kranke Flüchtlinge im Maßregelvollzug“ hat Dr. Beate Eusterschulte, Ärztliche Direktorin der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Haina, die Mitglieder des Hainaer Forensikbeirates informiert. Das Gremium fungiert als Bindeglied zwischen Klinik und Bevölkerung. Zweimal im Jahr unterrichten Geschäftsführung und Klinikleitung die Mitglieder über Entwicklungen.
Zum neuen Vorsitzenden des Forensikbeirates wurde der Hainaer Bürgermeister Alexander Köhler gewählt. Pfarrerin Beate Ehlert ist seine Stellvertreterin. Aktuell werden 375 Patienten in der größten hessischen Maßregelvollzugseinrichtung therapiert. Dabei handelt es sich um erwachsene Straftäter, die aufgrund einer psychischen Erkrankung von Gerichten nicht zur Haft in einer Justizvollzugsanstalt verurteilt, sondern nach § 63 Strafgesetzbuch (StGB) in einer Klinik für forensische Psychiatrie untergebracht wurden. Kernauftrag der Klinik mit den Standorten Haina (Kloster) und Gießen ist neben der Sicherung die Besserung, also die Behandlung der Rechtsbrecher.
Der Anteil nicht Deutsch sprechender Patienten sei in den vergangenen Jahren
deutlich gestiegen, informierte Eusterschulte. Sie verwies auf ihre Studie
„Migranten im Maßregelvollzug“, für die sie die Belegung der Klinik im Zeitraum
2012 bis Oktober 2017 betrachtet hat. „Im langjährigen Mittel hatten rund 20
Prozent der Patienten unserer Klinik einen Migrationshintergrund“, erläuterte
Eusterschulte. Nachdem im Jahr 2015 rund 75.000 Flüchtlinge nach Hessen
eingewandert waren, stieg in der Klinik die Zahl der psychisch kranken
Rechtsbrecher mit Migrationshintergrund deutlich an. „Zeitweise hatten wir mehr
als 50 Prozent nicht Deutsch sprechende Patienten auf einer Station.“
Auf Spracherwerb spezialisierte Station
Die Ärztliche Direktorin verwies auf die Komplexität der Behandlung von psychisch
kranken Flüchtlingen. „Der Stress und die Erlebnisse der Flucht haben diese
Menschen extrem verunsichert. Im neuen Kulturkreis finden sie sich schwer
zurecht.“ Die fehlenden Sprachkenntnisse erschwerten den Therapieerfolg.
Um diesen Menschen eine Behandlungsperspektive zu geben, haben die Vitos
Kliniken für forensische Psychiatrie Haina und Hadamar in enger Abstimmung mit
dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) in der Klinik in
Hadamar eine auf Spracherwerb und Integration spezialisierte Station eingerichtet.
„Zehn Patienten haben das einjährige Programm durchlaufen, zehn weitere werden im April 2019 den Sprachkurs abschließen“, erläuterte Eusterschulte. Sie starten anschließend mit dem regulären Therapieprogramm. Die Patienten erhalten in Hadamar 20 Stunden professionellen Sprachunterricht
pro Woche und der Alltag auf der Station wird so organisiert, dass er spracherwerbsunterstützend abläuft (mit Deutschlernspiel in der Morgenrunde, zahlreichen Bildkarten, Schautafeln, ausschließlich deutschem TV und deutschen Zeitschriften etc.).
Das Modellprojekt wird von Prof. Dr. Manuela Dudeck vom Lehrstuhl für
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm begleitet. Die Bilanz des ersten Jahres: Die Patienten haben hinsichtlich Spracherwerb und Integration stark profitiert. Bis auf einen erreichten alle Patienten, die bereits Lesen und Schreiben konnten, das angestrebte Sprachentwicklungsniveau A2 – und das trotz der psychischen Erkrankung. Aber auch die zuvor nicht alphabetisierten Patienten konnten sich sprachlich deutlich verbessern, sie benötigen aber längere Förderung als ein Jahr Sprachunterricht. Zwischen 2012 und Oktober 2017 nahm die Klinik insgesamt 56 Flüchtlinge auf. Dabei handelte es sich um Begutachtungen nach § 81 Strafprozessordnung
(StPO), vorläufige Unterbringungen gemäß § 126a StPO oder um Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus auf Grundlage § 63 StGB. Die Studie weist insgesamt 19 Herkunftsländer aus. Von den 56 aufgenommenen Patienten waren zehn aus Eritrea geflüchtet, jeweils sechs aus
Syrien, Algerien und Afghanistan. Die Patienten wurden aufgrund von Körperverletzungen, Brandstiftungen, Sexual- oder Tötungsdelikten im Maßregelvollzug untergebracht.
Ausgewertet hat die Ärztliche Direktorin auch die Diagnosen der aufgenommenen
Flüchtlinge. Fast die Hälfte der Patienten wies eine Schizophrenie auf, jeweils eine
einstellige Anzahl vorübergehende psychotische Störungen, Persönlichkeits- oder
weitere Störungen. „Die Störungsbilder waren erwartungsgemäß“, verwies Eusterschulte auf internationale Studien aus dem Jahr 2016. Migranten haben ein 1,75-fach und Flüchtlinge sogar ein 2,9-fach erhöhtes Risiko an einer Schizophrenie zu erkranken.
Angespannte Belegungssituation im Maßregelvollzug
Grundsätzlich sei die Belegungssituation im hessischen Maßregelvollzug angespannt, erläuterte Eusterschulte. In den vergangenen beiden Jahren sind die Zahlen der forensischen Patienten gestiegen. Durchschnittlich waren im vergangenen Jahr 750 Patienten in den Vitos Kliniken für forensische Psychiatrie an den Standorten Bad Emstal, Haina (Kloster), Marburg, Hadamar, Eltville und
Riedstadt untergebracht. Die Ursache des Belegungsanstieges sei nicht valide zu erklären. „Da wir jederzeit aufnahmebereit sein müssen, versuchen wir auch durch Verlegungen freie Kapazitäten zu schaffen“, betonte die Ärztliche Direktorin. Hessen arbeitet dabei eng mit anderen Bundesländern zusammen. Am Standort Riedstadt plant Vitos die Erweiterung der Klinik für forensische Psychiatrie um 54 zusätzliche Betten. Schon in diesem Jahr wird in der Klinik in Gießen die Zahl der Betten erhöht. Nach umfassender Sanierung soll im Sommer eine Station mit 18 Betten in Betrieb gehen. „Die Personalakquise hat bereits begonnen“, erläuterte die Ärztliche Direktorin. Eingestellt werden sowohl
Gesundheits- und Krankenpfleger wie auch Therapeuten, Psychologen und Ärzte. Aktuell werden sieben Patienten auf die Entlassung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorbereitet. Dabei handelt es sich um Menschen, die bereits lange Zeit in der Klinik behandelt werden.
Entweichungsstatistik 2018
Zwei Entweichungen und zwei Ausbrüche hatte die Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Haina im vergangenen Jahr zu verzeichnen. Zwei Patienten waren in einer Lockerungsstufe, die ihnen einen unbeaufsichtigten Aufenthalt in einem Hof ohne Höchstsicherung erlaubte. Diesen nutzten sie, um die Sicherungseinrichtung zu überwinden. Die Polizei brachte sie einen Tag später zurück in die Klinik. Dort wurden umgehend zusätzliche Sicherungsmaßnahmen getroffen. Eine detaillierte Aufarbeitung des Vorfalls ist erfolgt. Ein Patient entfernte sich während seiner Dauerbelastungserprobung unerlaubt
aus einer Nachsorgeeinrichtung. Ein anderer Patient kehrte von einem unbegleiteten Ausgang nicht vereinbarungsgemäß zurück. Diese beiden Patienten kehrten jeweils am nächsten Tag freiwillig zurück.
Hintergrund zum Maßregelvollzug
In Hessen sind die Vitos Kliniken für forensische Psychiatrie mit dem Maßregelvollzug beauftragt.
§ 63 StGB: Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung, einer geistigen Behinderung oder einer Persönlichkeitsstörung eine Straftat begangen haben, werden von einem Gutachter dahin gehend untersucht, ob sie zum Tatzeitpunkt nicht oder nur vermindert schuldfähig waren. Wenn das der Fall ist, und wenn aufgrund der Erkrankung weitere erhebliche Straftaten zu erwarten sind, weist sie das Gericht in eine Klinik für forensische Psychiatrie ein. Hier werden ihre Erkrankungen ärztlich behandelt und eine sichere Unterbringung gewährleistet.