Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik: Wissenschaft und Charakter

Die Teilnehmer im Hörsaal der Niederländischen Verteidigungsakademie. Foto: Manfred Weider/nh

Frankenberg/Antwerpen(wd/nh). Wie setzen die Staaten ihre Sicherheitspolitik in der Praxis um? Die Antwort auf diese Frage sucht die Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik e.V. (GfW), Sektion Waldeck-Frankenberg, auf ihren sicherheitspolitischen Studienfahrten, in diesem Jahr in Belgien und den Niederlande. Unter Leitung des stellvertretenden Sektionsleiters Manfred Weider fuhren 30 Teilnehmer, darunter wieder etliche „Ersttäter“, von Samstag, 05. bis Donnerstag 10. Juli nach Antwerpen. Von hier aus wurde jeden Tag gestartet. Die sicherheitspolitischen Programmpunkte organisierte Manfred Weider, die touristischen der Veranstalter Omnibus Reisen Küster.

 Die Anreise bei herrlichem sonnigen Wetter, das bis Montagabend anhielt, war unterbrochen durch den Besuch des Radioobservatoriums Effelsberg in der Eifel. Hier wird Grundlagenforschung mittels Messung kurzer und sehr kurzer Radiowellen betrieben. Ohne diese Grundlagenforschung wären viele moderne Techniken nicht möglich. Eindrucksvoll der Spiegel des Teleskops mit 100 m Durchmesser. Mit einer kleinen Hafenrundfahrt durch den drittgrößten Hafen Europas begann am Sonntag das Kennenlernen von Antwerpen. Am Nachmittag machte eine Stadtrundfahrt mit Rundgang weiter Appetit auf die Hauptstadt der Provinz Antwerpen.

Das Entdecken der Stadt konnte an Montag nach dem Besuche der belgischen Kriminalpolizei fortgesetzt werden.

PHK Luc Vanlouwe und PHK Martin Bemelmans stellten die Struktur der belgischen Polizei vor. Aus den vielen Ordnungsdiensten wurde eine Struktur geschaffen, in der es nur eine „Föderalen Polizei“ und eine „Lokale Polizei“ gibt. Die lokale Polizei ist 24 Stunden im Dienst und erste Anlaufstelle für alles was mit Polizei zu tun hat. Die Kriminalpolizei, gehört zur Föderalen Struktur und ist nur zu den üblichen Arbeitszeiten im Dienst. Ihre Bereitschaft für die Kripoangehörigen findet zu Hause statt. In Belgien findet eine enge Zusammenarbeit von Polizei und Streitkräfte statt. Ein Besuch des Polizeimuseums schloss den Programmpunkt ab.

Am Dienstag besuchte die Gruppe das Artilleriebataillon in Brasschaat. Die Organisation dieses Programmpunktes lief über den deutschen Verteidigungsattaché in Brüssel, Oberstleutnant Heino Matzken. Kommandeur Oberstleutnant Geert Bouchez begrüßte die Teilnehmer und übergab an seinen S 3-Stabsoffizier (verantwortlich für Ausbildung und Einsatz), Major Kris Roelants, der das Briefing durchführte. Ausgestattet ist das Bataillon mit französischen Waffen, 105 mm Haubitze, 120 mm Mörser und der Flugabwehrrakete Mistral. Eine hervorragend aufgebaute Waffenschau mit Erklärungen der Soldaten gab einen guten Überblick. Die Gespräche mit den Soldaten vermittelten viel aus deren Leben und Einsätzen, ermöglichen einen guten Vergleich mit unseren Bundeswehrsoldaten.
Nach einer einstündigen Fahrt zur mittleren Brigade in Leopoldsburg wurde zunächst das Mittagessen bei den Belgiern eingenommen. Hier kochen und betreiben Soldaten die Küche.

Oberst Koen Verdoodt, Chef des Stabes, empfing anschließend die Gruppe und führte in hervorragendem Deutsch das Briefing durch. Die belgischen Streitkräfte haben vier Teilstreitkräfte, Heer, Marine, Luftwaffe, Sanitätsdienst. Das Heer, zu dem die Brigade gehört, umfasst ca. 13000 Soldaten und hat keine Panzer. Die Fahrzeuge sind aus der Schweiz. Die Brigade ist zur Zeit die erste Europeanbattlegroup. Aufgabe laut Beschluss der EU ist, mit Landstreitkräften bei kleinen Konflikten eingesetzt zu werden. Hier arbeiten die Belgier als Führungsnation mit Niederländern, Spaniern und wenigen deutschen Kräften zusammen.
Die Besuche der belgischen Armee machten deutlich, dass die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene unterhalb der politischen Ebene stark voran geht. Ein kleines Indiz sind die fehlenden Panzer. Sollten diese notwendig sein, springen andere Nationen ein.

Die „Niederländische Verteidigungsakademie“ in Breda, ein historischer Komplex, Stammhaus des Hauses Nassau, war Ziel am Mittwoch. Diesen Besuch managte Verteidigungsattaché Oberstleutnant i.G. Joachim Schmidt mit Dienstsitz in der Botschaft in Den Haag. Er begleitete die Gruppe auch während des Besuchs. Kommandant Generalmajor Theo Vleugels, mit seiner Adjutantin Hauptmann Petra Verdonschot, stellte bei seiner Begrüßung das Leitmotiv der Akademie heraus „Wissen und Charakter“. Wissen ist wichtig und die Basis der Führerausbildung, aber gerade im militärischen Bereich müssen die Führer auch charakterlich ausgebildet und vorbereitet werden, ihre Aufträge angemessen und unter Einbeziehung humanitärer Erfordernisse durchzuführen.

Dr. Jörg Noll, Professor für internationale Sicherheitsstudien übernahm die Gruppe zum Briefing. Er ist Deutscher und seit 25 Jahren Angehöriger der Akademie. In einem exzellenten, sehr ansprechendem Vortrag brachte er den Teilnehmern vor allem die Akademie näher. Die niederländischen Streitkräfte sind zur zeit ca. 50000 Soldaten und werden verringert auf ca. 45000. Sie gliedern sich in Heer, Marine, Luftwaffe und Koninklijke Marechaussee, eine Militärpolizei nicht vergleichbar mit unserer. Diese Koninklijke Marechaussee wird auch im Inneren zur Unterstützung der Polizei eingesetzt und hat den rechtlichen Status der Polizei; weiterhin ein Unterstützungskommando, Logistik und eine zentrale Verwaltung. Auch die Niederländer haben die Panzer abgeschafft. Bei internationalen Aufgaben nehmen die Niederländer, aus den Erfahrungen der Vergangenheit heraus, nur an robusten Mandaten teil.

Die Akademie führt die gesamte Offiziersausbildung, in Teilen auch Unteroffiziersausbildung, durch. Die Jeanshosen, wie die Rekruten hier genannt werden, durchlaufen eine dreimonatige Grundausbildung, danach beginnt das Studium. Dieses hat drei Standbeine: militärische Ausbildung, akademische Ausbildung und die Korps. Die Korps sind studentische Verbindungen, die sich selbst verwalten und Teamgeist vermitteln. Nach der Grundausbildung durchlaufen die Studenten und Studentinnen ein einjähriges Vordiplom, danach weitere militärische und akademische Ausbildung. Nach vier Jahren sind die Absolventen Fähnrich und diplomiert. Alle Abschlüsse sind europaweit anerkannt. In einzelnen Studienfächern nehmen auch „Zivilisten“, speziell aus dem Staatsdienst teil. Die Ausbildung hat das Ziel, das Leitmotiv „Knowledge and Character“ im täglichen Dienst zu leben. So sind heutige Einsätze in Krisengebieten nur erfolgreich, wenn ein Baustein des Leitmotivs umgesetzt wird: ein Wort bringt mehr wie viele Waffen.

Boudewijn van de Calseijde, engagiert in einem Förderverein für die „Königliche Militärakademie” (früherer Name), übernahm die Führung der Gruppe in dem weitläufigen Gebäudekomplex und erzählte bei einem Rundgang die Geschichte dieses Areals.

Der Dauerregen seit Dienstagmorgen vereitelte den Besuch der Halbinsel Beveland mit Goes am Nachmittag. Die Gruppe fuhr nach Antwerpen zurück. Da war das Hotel bei Bedarf nicht weit weg.

Auf der Heimreise konnten die Teilnehmer Ahrweiler erkunden.

Die Teilnehmer, aus allen Bereichen der Gesellschaft, eine große Anzahl Nichtmitglieder der GfW, waren sich einig, dass nur diese persönliche Erfahrung durch Begegnung mit anderen Sicherheitsorganen eine „echten“ Eindruck verschaffen. Ganz speziell erschließt man nur so die heutigen Aufgaben „unserer“ Streitkräfte. Einen anderen Sinn als Frieden schaffen, Zeit und Raum zur Friedensstabilisierung geben, kann man sich nicht vorstellen.
Die Bitte diese sicherheitspolitischen Studienfahrten fortzusetzen hat Manfred Weider nicht abgelehnt.

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