Artensterben in der Agrarlandschaft stoppen

NABU zieht Bilanz der Hessischen Biodiversitätsstrategie: Landwirtschaft
Wetzlar(pm). Um die Artenvielfalt in Hessen zu bewahren, hat die Landesregierung vor 7 Jahren die Hessische Biodiversitätsstrategie ins Leben gerufen. Im Rahmen des Programms sollten bis Ende 2020 deutliche Verbesserungen beim Artenschutz in der Agrarlandschaft erreicht werden. Der NABU Hessen hat nun eine Bilanz gezogen: „Hessen hat trotz einiger erfolgreicher Einzelprojekte beim Schutz von gefährdeten Wiesenvögeln und Insekten seine gesetzten Ziele nicht erreicht“, erklärt Gerhard Eppler, Landesvorsitzender des NABU Hessen. Das Land konnte zwar den Flächenanteil besonders artenreichen Grünlands mit knapp 9 % der Landwirtschaftsfläche konstant halten, viele Gebiete befinden sich aber in einem schlechten Erhaltungszustand. „Entweder verbrachen die Wiesen wegen Nutzungsaufgabe oder sie verwandeln sich durch eine zu intensive Nutzung mit Dünger und häufiger Mahd zu artenarmen Grünflächen“, so der Biologe Eppler. Da die bisherigen Schutzbemühungen für artenreiches Grünland unzureichend sind, hat die EU-Kommission mit einem Vertragsverletzungsverfahren den Druck auf Deutschland erhöht, den Wiesenschutz endlich umzusetzen. Die NABU-Bilanz basiert auf einer Antwort des Landes auf eine Großen Landtagsanfrage der Fraktion „Die Linke“ vom 25. März 2021.

Als einen weiteren Problembereich sieht der NABU den unzureichenden Schutz von Feld- und Wegrainen an. „Damit Wildtiere in der stark ausgeräumten Agrarlandschaft wandern und neue Biotope besiedeln können, brauchen sie Wegränder, Feldwege, Hecken und Gewässerufer als Trittsteinbiotope. Das ist besonders in der Klimakrise von großer Bedeutung“, erläutert Eppler. Häufiges Befahren, Unterpflügen, falsche Pflege oder gar der völlige Wegfall durch Flurbereinigungsverfahren machten Randstreifen mittlerweile aber zu gefährdeten Biotopen in der Kulturlandschaft. Das Land müsse deshalb eine hessenweite Schutzstrategie entwickeln, um den Schwund dieser wichtigen Kleinlebensräume wirksam aufzuhalten. Die Landesregierung ist, so der NABU, noch weit davon entfernt, den Artenschwund auf Wiese, Feld und Acker zu bremsen oder gar zu stoppen. „Die Bestände der typischen Vogelarten des Offenlandes wie Braunkehlchen, Bekassine, Feldlerche, Rebhuhn, Goldammer, Kiebitz und Neuntöter sind weiter stark rückläufig“, zeigt sich Eppler bestürzt. Für die Insekten sieht es nicht besser aus. Neben Wildbienen, Libellen, Käfern und Heuschrecken sind besonders auch Schmetterlingsarten betroffen, deren Wirtspflanzen nährstoffarme Bedingungen benötigen. Von solchen Wiesen sind in Hessen immer weniger zu finden, so der NABU.

Dabei gibt es gute Pilotprojekte in verschiedenen Regionen Hessens, die zeigen, wie dem Artenschwund effektiv zu begegnen ist. So konnte etwa der Brutbestand von Rebhühnern in einem Schutzprojekt im nordhessischen Bad Zwesten durch eine spezielle Beratung von Landwirten in knapp neun Monaten von 8 auf 25 Paare gesteigert werden. In anderen Projekten wurden erfolgreiche Schritte unternommen, um schwindende Wegraine zurückzugewinnen und damit den lokalen Biotopverbund zu stärken. „Die positiven Erfahrungen aus verschiedenen regionalen Projekten zeigen, dass wirkungsvolle Maßnahmen gegen den Abwärtstrend der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft vorhanden sind. Aus den gesammelten Projekterfahrungen müssen nun flächendeckende Landesprogramme geschneidert werden“, resümiert Eppler.

NABU fordert Fünf-Punkte-Plan

Die Landesregierung hat, so der NABU, noch viel zu tun, um den Artenschwund im Offenland aufzuhalten. „Wir erwarten vom Land, beim Schutz des Offenlands einen prioritären Fünf-Punkte-Plan umzusetzen. Er besteht aus den Kernpunkten Hecken, Wegraine und Gewässerufer erhalten, artenreiches Grünland besser schützen, den Flächenverbrauch stoppen, Insektenschutz konsequent umsetzen sowie Naturschutzberatung und Bildungsangebote ausbauen“, umreißt Eppler das Aufgabenpaket.

Hecken, Wegraine und Gewässerufer erhalten

Für den Erhalt der biologischen Vielfalt wichtige Landschaftselemente wie Weg- und Feldraine, Hecken, Feldgehölze, Baumreihen und Fließgewässer mit ihren Ufern müssen als „gesetzlich geschützte Biotope“ in das Hessische Naturschutzgesetz aufgenommen werden. Die Erfassung, Betreuung und Pflege der Biotope sollte in die Hände der Landschaftspflegeverbände gelegt werden. Zu ihren Aufgaben muss es auch gehören, eine unrechtmäßige Bewirtschaftung dieser Landschaftsstrukturen zu unterbinden. Das Land ist zudem in der Pflicht, bei der Bewilligung von Förderprogrammen stärker darauf zu achten, dass nur solche Flächenbereiche gefördert werden, die sich tatsächlich im Eigentum des Antragstellenden befinden oder von ihm gepachtet sind.

Artenreiches Grünland besser schützen

Um artenreiches Grünland, das wichtige Lebensräume für gefährdete Wiesenvögel und Insekten bietet, besser zu schützen, muss sein Anteil von aktuell knapp 10 % auf 25 % erhöht werden. Dazu braucht es eine massive Reduktion des Düngemitteleinsatzes, ein Umbruchverbot für Grünland, eine Extensivierung der Mahd, eine angepasste Beweidung und die Wiedervernässung feuchter Wiesen. Darüber hinaus ist es erforderlich, artenreiches Grünland und seine Potenzialflächen gesetzlich zu schützen. Als unterstützende Maßnahmen sollten die Biodiversitätsberatung in der Fläche ausgebaut und die Landschaftspflegeverbände gestärkt werden.

Flächenverbrauch stoppen

Der aktuelle Flächenverbrauch von 2,63 Hektar pro Tag in Hessen muss bis zum Jahr 2023 auf 1 Hektar pro Tag weiter verringert werden, um den voranschreitenden Verlust wertvoller Lebensräume von Pflanzen und Tieren effektiv aufzuhalten. Es ist zudem ein Plan zu entwickeln, wie der Flächenverbrauch schnellstmöglich auf Netto-Null reduziert werden kann.

Insektenschutz konsequent umsetzen

Die Insektenvielfalt muss durch mehr und effektivere Agrarumweltmaßnahmen deutlich gefördert werden. So gilt es, den Flächenanteil von mehrjährigen Brache- und Blühflächen sowie Pufferstreifen und Biotopelementen auf mindestens 10 % zu steigern. Dabei kommt der Verstetigung von erfolgreichen Pilotprojekten eine große Bedeutung zu. Hierbei ist zu beachten, dass Insektenschutz auch auf Hochertragsstandorten zum Tragen kommt. Um das Insektenschutzgesetz des Bundes konsequent umzusetzen, ist zudem ein verbindlicher Pestizidreduktionsplan auf ganzer Fläche zu entwickeln und bis zum Ende der Legislaturperiode umzusetzen. Zu den Bausteinen des Reduktionsplans sollten die zielgerechte Förderung des Ökolandbaus und die fachgerechte Beratung von Landwirten durch den Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen gehören.

Naturschutzberatung und Bildungsangebote ausbauen

Positive Erfahrungen aus verschiedenen hessischen Feldflurprojekten und das Engagement von Landwirten bei der Landeskampagne „Bienenfreundliches Hessen“ müssen in einer dauerhaften Struktur verstetigt und auf ganzer Fläche umgesetzt werden. Dazu sollten in jedem Landkreis mehrere Biodiversitätsberater eingesetzt werden. Ihre Aufgabe besteht darin, sowohl eine einzelbetriebliche Biodiversitätsberatung anzubieten als auch darüber hinausreichende strategische Regionalziele zum Schutz der biologischen Vielfalt umzusetzen.

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