Der Fall Wilke ist kein Einzelfall – Ministerin Klöckner muss Lebensmittelrecht reformieren

Berlin(pm). Die Verbraucherorganisation foodwatch hat davor gewarnt, bei der Aufarbeitung des Lebensmittelskandals um den Wursthersteller Wilke von einem Einzelfall auszugehen. Vielmehr hätten ganz wesentlich dieselben Gesetzeslücken und Schwachstellen im Lebensmittelrecht zu diesem Skandal beigetragen, die auch vergangene Lebensmittelskandale – von Dioxin über Pferdefleisch bis Fipronil – ermöglicht hatten. Dies zeigt eine am Dienstag in Berlin vorgestellte Analyse, in der foodwatch auf Basis des bisherigen Wissensstandes Fehler und Versäumnisse von Politik und Behörden im Fall Wilke aufführt.

„Der Listerien-Fall führt uns wie unter dem Brennglas vor Augen, was bei der Lebensmittelsicherheit alles schief laufen kann – und es sind größtenteils immer wieder dieselben Probleme. Ob Dioxin, Pferdefleisch oder Fipronil – genau jene Schwachstellen, die auch frühere Lebensmittelskandale möglich gemacht oder vergrößert haben, sorgten auch jetzt dafür, dass der Listerien-Fall Wilke eine solch dramatische Entwicklung nahm“, erklärte Martin Rücker, Geschäftsführer von foodwatch Deutschland. „Wenn wir nicht endlich die Lehren aus Fällen wie Wilke ziehen, ist der nächste Lebensmittelskandal nur eine Frage der Zeit. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner steht in der Pflicht, die längst bekannten Schwachstellen und Gesetzeslücken zu beseitigen. Wir müssen endlich alles dafür tun, vermeidbare Erkrankungen durch Lebensmittel auch wirklich zu vermeiden.“

Aus Sicht von foodwatch greift es zu kurz, zur Bewertung des Listerien-Skandals allein auf ein Versagen der Kontrollen zu verweisen und im Umkehrschluss bessere, häufigere oder strengere Kontrollen zu fordern. „Wer als für Lebensmittelsicherheit verantwortlicher Politiker einfach nur mehr Kontrollen fordert, stellt sich dümmer als er ist“, so Martin Rücker. foodwatch forderte Bundesernährungsministerin Julia Klöckner zu einer substanziellen Reform des Lebensmittelrechts auf. Drei wesentliche Punkte dabei:

1) Die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln muss endlich durchgesetzt werden.
Lückenlose Rückverfolgbarkeit ist seit vielen Jahren eine zentrale Vorgabe des europäischen Lebensmittelrechts. Im Fall Wilke können die Behörden bis zum heutigen Tag nicht genau sagen, wo genau die vom Rückruf betroffenen Wilke-Produkte abgegeben oder weiterverarbeitet wurden. Auch bei früheren Lebensmittelskandalen (Pferdefleisch-Betrug, dioxinbelastete Eier, Fipronil) konnten die Behörden Lieferwege gar nicht oder nicht angemessen schnell nachvollziehen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu warnen. Das ist auch der Grund, weshalb die Behörden keine Auskunft zum Verbleib von tonnenweise eigentlich deklarierungspflichtigem Separatorenfleisch geben können. Bundesministerin Julia Klöckner muss Instrumente für die Zusammenarbeit von Behörden entwickeln, um Rückverfolgbarkeit endlich durchzusetzen – das ist eine Bundesaufgabe.

2) Behörden müssen verpflichtet werden, die Öffentlichkeit über gesundheitsrelevante Lebensmittel zu warnen – ohne zeitlichen Verzug, ohne Ermessensspielraum und mit allen nötigen Informationen wie Produkt-, Markennamen und Verkaufsstellen.
Das europäische und deutsche Lebensmittelrecht wimmelt nur so vor Soll-Bestimmungen, Ermessensspielräumen und unbestimmten Rechtsbegriffen. foodwatch ist davon überzeugt, dass der Listerien-Fall um das Unternehmen Wilke bereits deutlich früher öffentlich geworden wäre und die Menschen wirksamer hätten geschützt werden können, wenn eine Informationspflicht für Behörden bestünde. Dies schafft auch Rechtssicherheit gegenüber den Unternehmen. Die Behörden müssen dazu verpflichtet werden, die Öffentlichkeit unverzüglich und umfassend zu informieren – bei potenziellen Gesundheitsrisiken wie auch in Betrugs- und Täuschungsfällen. Das muss eine Benennung von Produkt- und Markennamen, Abnehmern und Verkaufsstellen mit einschließen. Es ist ein Versäumnis, dass Julia Klöckner dazu weder eine entsprechende Novellierung des deutschen Lebensmittelrechts angestoßen hat noch auf EU-Ebene initiativ geworden ist, um diesen Grundsatz auch im europäischen Lebensmittelrecht zu verankern.

3) Der Handel und andere Abgabestellen müssen verpflichtet werden, Lebensmittelwarnungen an ihre Kunden weiterzureichen.
Kommt es zu einem Rückruf, ist vor allem der Hersteller in der Pflicht. Doch die Unternehmen, die die betroffenen Produkte abgegeben haben und die die Kundenkontakte haben – Handelsunternehmen, Kantinen etc. – müssen nicht informieren, da sie für die Produktmängel keine Verantwortung tragen. Im Fall Wilke hat zum Beispiel Ikea erst dann aktiv darüber berichtet, dass das Unternehmen auch von dem Rückruf betroffen ist, als foodwatch diese Tatsache bereits öffentlich gemacht hatte. Händler und andere Abgabestellen müssen daher gesetzlich verpflichtet sein, Rückrufe von Produkten aus ihrem Sortiment auf allen verfügbaren Kanälen (im Laden/in der Kantine, per Newsletter, Social Media etc.) weiterzuleiten und ihre Kundinnen und Kunden vor bedenklichen Lebensmitteln zu warnen.

Die Analyse des Falls Wilke hatte foodwatch auf Basis des vorläufigen Wissensstandes zum 14. Oktober angefertigt. Die Organisation betonte, dass viele Abläufe noch ungeklärt, viele Fragen noch offen seien. Die bundes- und europarechtlichen Schwachstellen seien jedoch hinlänglich bekannt. Ebenso offensichtlich sind Versäumnisse in der Struktur der hessischen Lebensmittelüberwachung, beim Vorgehen der beteiligten hessischen Behörden und bei der völlig unzureichenden Information der Verbraucherinnen und Verbraucher. Für diese Abläufe trage Landesverbraucherschutzministerin Priska Hinz die politische Verantwortung.

Quellen und weiterführende Informationen:
„Skandal mit Ansage“: foodwatch-Analyse des Wilke-Skandals inklusive Quellen: t1p.de/ynuu

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