Eine Insel in Bewegung – ein Edertaler beim Festival der Superlative

OEROL auf Terschelling

Von Peter Fritschi. Guten Tag liebe Leserinnen und Leser, wenn ich Ihnen über dies Festival berichte, das ich jetzt zum dritten Mal in Folge besuchte, dann vor allem deshalb, weil ich immer aufs Neue von diesem besonderen Erlebnis fasziniert bin. Ein friedfertiges Kulturereignis, welches in seiner originellen Vielfalt seinesgleichen sucht und darum ein breitgefächertes Publikum anspricht. Schon die Location ist etwas Besonderes auf diesem Globus: Am Rande der Nordsee eine Wanderinsel, die zu großen Teilen aus geschützten Natur-Reservaten besteht und nur mit dem Schiff erreichbar ist.

Installation „Fischfutter“ © Peter Fritschi

Einmal im Jahr ist auf der niederländischen Wattenmeerinsel „Abgeschiedenheit,“ so der altfriesische Name für Terschelling, alles anders. Auf jeden Einwohner kommen dann zehn Touristen. Etwa 50 000 Menschen aus den Niederlanden und der restlichen Welt bevölkern alljährlich ab dem 11. bis 23. Juni, seit 1982 nunmehr 27 Jahre, die dem Festland vorgelagerte Insel. Der Grund für diesen Ansturm ist das Festival Oerol. Das Wort bedeutet im Terschellinger Dialekt „überall“ und bezeichnete früher die Periode im Frühjahr, in der das Vieh wieder auf die Weiden getrieben wurde. Schafe, Ziegen und Kühe waren dann buchstäblich überall zu sehen.

Foto: Peter Fritschi

Während des Oerol Festivals finden zwölf Tage lang über die ganze Insel verteilt Theateraufführungen und Konzerte statt, und bildende Künstler stellen Werke zum jährlich wechselnden Motto des Festivals aus. Strand, Wald, Dünen und Polder werden zu Bühnen- und Ausstellungsräumen; auch in Scheunen und Schuppen finden Vorführungen statt. Im Angebot ist für jeden Geschmack und jede Altersgruppe etwas. Während der Dauer des Festivals müssen auf der Insel Unterkünfte ein Jahr im Voraus gebucht werden. Die Verkehrsanbindung an das niederländische Festland erfolgt durch die Fährschiffe, sowohl für die Einheimischen als auch für Touristen ist das Fahrrad das wichtigste Verkehrsmittel auf der Insel. Begüterte reisen mit privaten Segelyachten oder Motorbooten an. Individualisten, auf großen 2- oder 3-Mast-Traditionssegelschiffen. Mein Freund Rolf und ich hatten uns für eine 5-stündige Anreise mit den Großsegler Zeemeeuw“, einem Zweimaster mit 90 Fuß LüA L(änge) ü(ber) A(lles) und 400 m² Segelfläche, entschieden. Schon beim Einlaufen in den Hafen schallten uns die Rockhymnen der Band entgegen die sich auf „de Betonning“ positioniert hatten.

WEST-TERSCHELLING HAFEN. Foto: Peter Fritschi

Nach der Anlandung im Hafen von West-Terschelling bekamen wir zur Begrüßung eine 6-seitige Programmzeitung „programma Oerol“ zaterdag 15 juni 2019 ausgehändigt. Die Programmzeitung erscheint täglich mit den jeweiligen Tagesveranstaltungen. Die Events beginnen in der Regel um 13 Uhr an verschiedenen Orten der Insel und enden mit dem Beginn des letzten Konzerts um 23:59 Uhr. Die Nachtruhe kehrt gegen 4 Uhr früh ein, genug Zeit zum ausschlafen, um rechtzeitig für den kommenden Tag wieder fit zu sein.

Security in Feststimmung vor BETONNING Festivalgelände Foto: Peter Fritischi

Für den ersten Tag hatten wir 31 Konzerte (Musiek op straat en in de horeca), außerdem 14 Pop-Up-Performances, 2 Großkonzerte in „de Betonning“ (extra Eintritt) sowie 34 Theaterveranstaltungen zur Auswahl. Wir entschieden uns für eine Großveranstaltung in de Betonning, drei mal „Musiek op straat“, darunter eine DJ- und Akrobatik-Veranstaltung unter dem Leuchtturm Brandaris im Zentrum von West-Terschelling, sowie ein Mitternachtskonzert um 23 Uhr im Restaurant De Bras: ein Auftritt der Blues Brothers Nederland. Zwischendurch wurde getafelt und eine Mütze Schlaf an Bord der Zeemeeuw durfte nicht fehlen.

Festivalbesucher © Peter Fritschi

Die Probleme Klimaänderung durch Erderwärmung und die Verschmutzung der Weltmeere, hauptsächlich durch Plastikprodukte, waren in den Performances überall präsent. In den Theater-, Tanz-, Medien- und Konzeptkunst-Darbietungen sowie in den Installationen waren sie die vorherrschenden Leitgedanken. Nach einem Intermezzo in Midsland, einem kleinen Ort auf Terschelling, machten wir uns auf den Weg zurück nach West-Terschelling. Zwischen den Orten Midsland und West-Terscheling sind wir per Anhalter gefahren, da kein Taxi für die Rückfahrt zu Verfügung stand. Somit bekamen wir die Gelegenheit, die Journalistin und Theater-Regisseurin Marjolein Frijling aus Amsterdam und den Gitarristen André Cardoso aus Portugal kennenzulernen. Beide waren mit Ihrem Auto zu einer neuen Location unterwegs, im Gepäck ihr Programm “Fogo Correnda“. Wir kamen mit beiden ins Gespräch über Ihr Projekt. Fogo Correnda, zu Deutsch das „Lauffeuer“, erklärte uns Marjolein Frijling, entzündete sich im Juni 2017 als das tödlichste Feuer in der portugiesischen Geschichte. „Fogo Correnda“ ist eine theatralische Rekonstruktion der 24 Stunden, die der Katastrophe vorausgingen. Als das Feuer langsam näher rückt, entdeckt man, warum Waldbrände entstehen und was die erschütternden Motive sind, um sie zu entzünden.

Die Theaterperformance „Fogo Correnda“ greift das Thema des Festivals „Umweltzerstörung“ in exemplarischer Weise auf. Gerne wären wir in der Vorstellung am Abend gewesen, befürchteten allerdings aufgrund der Sprachbarrieren, (Niederländisch), dem Stück nicht folgen zu können.
Für Fogo Correnda reisten Marjolein Frijling und Theo Martijn nach Portugal und sprachen mit Rettungskräften, Opfern und Überlebenden. Vielfältige Geschichten und widersprüchliche Visionen sorgen für spannendes, humorvolles und emotionales Theater. Wir sehen Café-Besitzerin Maria, Olivenbauer Joo, Feuerwehrmann Pedro, Polizist José und den noch unbekannten Täter. Bei den Machern entdecken wir, dass Waldbrände fast immer bewusst entzündet werden und dass es oft große Partys dahinter gibt. Frijling und Weaver arbeiten mit dem Gitarristen André Cardoso, dem Überlebenden des Waldbrandes, in einer Performance zusammen, die alle Sinne berührt. Das Feuer rückt immer näher und wir können es hören, riechen, sehen und fühlen. Nach 2 Tagen intensiven Kulturgenusses traten wir die Heimreise mit unserem Gaffel-getakelten Klipper an und erreichten bei Windstärke 5 und klarer Sicht nach 5 Stunden unseren Heimathafen Harlingen. Welche Erinnerungen nehmen wir mit? Ein wirklich gelungenes Festival der Superlative, vielfältig in seinem kulturellen Angebot, friedlicher Verlauf, diszipliniert auch ohne Polizeipräsenz, trotz 50 000 Besuchern keine erkennbare Umweltverschmutzung, freundliche tolerante Bewohner und das Respektieren der Naturschutzgebiete durch die Gäste – einfach ein vorbildliches Fest.

©NASA

Terschelling ist im frühen Mittelalter als eine Sandbank entstanden, eine Ablagerung (Sedimentation) von Sand oder Kies am Grund der Nordsee, gebildet durch Wind und Strömung. Durch die vorherrschenden Westwinde und durch den Tiden-Strom wird Material auf der Nordwestseite der Insel abgetragen und auf der Nordost Seite angespült und verdichtet. Dieser natürliche Prozess hat zur Folge, dass die Insel ständig in Bewegung ist und durch das davor liegende Watt in Nordost-Richtung wandert.

BETONNING. Foto: Peter Fritischi

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