Reinhardshagen/Kassel(pm). Welche Region bekommt den Zuschlag? In diesen Tagen bereitet das Land Hessen die Auswahl von mehreren Waldgebieten vor, in denen sich künftig natürliche Wälder entwickeln dürfen. Insgesamt 6.400 Hektar sollen zunächst geschützt werden. Sechs Naturschutzverbände haben im Reinhardswald ein 909 Hektar großes Gebiet vorgeschlagen. Der Landkreis Kassel, der Naturpark Reinhardswald und einige Lokal-Matadore fordern von Umweltministerin Priska Hinz den Schutz der Weserhänge ein. „Herausragend ist das Gebiet, weil hier der höchste Anteil alter Waldbestände mit Bäumen über 140 Jahre von allen Naturwald-Vorschlägen in Hessen vorkommt“, so Mark Harthun, stellvertretender Landesgeschäftsführer des NABU Hessen. Sie machen im Vorschlagsgebiet 54 Prozent der Fläche aus, während der Landesdurchschnitt nur bei 13 Prozent liegt.
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Insgesamt 25 mögliche Gebiete für eine natürliche Waldentwicklung haben die Naturschutzverbände NABU, BUND, HGON, Greenpeace, WWF und Zoologische Gesellschaft Frankfurt dem Land unterbreitet. Alle Flächen sind vollständig in Landesbesitz. „In diesen Gebieten könnte sehr leicht und schnell auf die Fällung der Bäume verzichtet werden“, so Harthun. Ohne Holznutzung entwickelt sich ein wilder Naturwald: Die Bäume werden dicker und größer, die Holzmenge wird sich mehr als verdoppeln. Krumme, knorrige und auch abgestorbene Bäume gehören zum Bild eines wilden Waldes und könnten Lebensraum für viele neue Tier-, Pflanzen- und Pilzarten bieten. Der Landkreis Kassel sieht in der Ausweisung eines 900 Hektar großen Naturwaldes im Reinhardswald große Chancen für die Natur, den Naturpark und die Region Oberweser. Als „Urwald von morgen“ könne ein weiterer Höhepunkt im Märchenland der Brüder Grimm entstehen: „Wir begrüßen die Überlegungen und haben uns bereits bei der Hessischen Umweltministerin Priska Hinz für eine Verwirklichung eingesetzt“, so Bernd Kleibl, Fachbereichsleiter Bauen und Umwelt. Auch der Geschäftsführer des Naturparks Reinhardswald Dr. Erik Aschenbrand sieht in einem großen Waldgebiet mit natürlicher Entwicklung eine deutliche Erhöhung der Attraktivität des Naturparks: „Wilde Naturwälder haben für viele Besucher einen besonderen Reiz und eröffnen damit auch im Bereich Umweltbildung neue Chancen. Besonders wichtig ist es daher, den werdenden Urwald für Besucher erlebbar zu machen“. Zwar gibt es bereits den „Urwald Sababurg“, jedoch handelt es sich hierbei eigentlich um Huteeichen eines alten Kulturwaldes. Ein echter großer Naturwald wäre daher ein neuer Höhepunkt. Nach Ansicht des pensionierten Försters und jahrzehntelangen Naturschützers Hermann-Josef Rapp sollte deshalb bei weiteren Naturwälder-Ausweisungen der Reinhardswald unbedingt dabei sein. „Die naturräumlichen Voraussetzungen mit Höhenunterschieden von über 350 Metern, Altholzinseln, Waldbächen und Quellsümpfen sind optimal für eine vielfältige Natur“. Große Teile des vorgeschlagenen Waldes sind bereits nutzungsfrei: Enthalten ist das seit 1997 bestehende Naturwaldreservat „Weserhänge“ (80 Hektar) und Altholzinseln an Olbe und im Quellbereich von Luckhahns Graben. Auf mehreren hundert Hektar Wald hat das Land in den letzten Jahren bereits die Holznutzung eingestellt. Mit nur weiteren 460 Hektar Wald könnte so ein Gebiet von 909 Hektar Größe erreicht werden. Eine zurückhaltende Bewirtschaftung, vor allem in den Steillagen, hat viele Schätze hinterlassen. Zehn baumbewohnende Fledermausarten, Hirschkäfer, Schwarzstorch, Grau- und Schwarzspecht und Wildkatze sind nur einige der Arten, die sich in der Fläche ausbreiten und dauerhaft gesichert werden können. Harthun hebt eine weitere Besonderheit hervor: Das vorgeschlagene Gebiet erstreckt sich über Höhenstufen vom Flachland (120 m) über das Hügelland, das Mittelgebirge bis zur Gebirgsstufe (Staufenberg 472 m). Diese großen Höhenunterschiede ermöglichen Arten die Wanderung in höhere Lagen, wenn die Klimaerwärmung zunimmt. „Anderswo wandern sie künftig aus den Schutzgebieten hinaus und finden keine geeigneten Lebensräume vor“, so der NABU. Der Reinhardswald ist insgesamt wenig besiedelt und zerschnitten. Vielversprechend sei auch der Verbund mit dem Totenberg im niedersächsischen Bramwald, wo es ebenfalls 430 Hektar Naturwald-Entwicklungsfläche gibt. Am Westrand schließt sich seit 2001 der 116 Hektar große Friedwald an, ebenfalls ohne forstwirtschaftliche Nutzung. Die Gebietsvorschläge der Naturschutzverbände umfassen insgesamt 18.000 Hektar Wald. Dies ist genau die Fläche, die noch gebraucht wird, um das Ziel der Hessischen Biodiversitätsstrategie, eine natürliche Waldentwicklung auf fünf Prozent der Waldfläche, zu erreichen. Mehr Informationen zum Naturwaldkonzept für Hessen finden sich unter www.wald.nabu-hessen.de