Nicht die Anglizismen machen eine moderne Verwaltung

Rubrikbild pixelio/Q.pictures/nh

Altenlotheim(od). Immer wieder stehen die Jobcenter vor dem Kadi.  Und da gilt  der alten Spruch:“ vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“, mal gewinnen Kläger, mal das Jobcenter. Meistens treffen sich die Parteien vor den Sozialgerichten, in diesem Fall traf man sich vor dem Verwaltungsgericht Gießen.

Ein Kläger wollte per Klage, der übrigens auch statt gegeben wurde, erreichen, dass die Telefonnummern der zuständigen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter veröffentlicht werden. Der Kläger begründete seine Klage mit Informationsfreiheitsgesetz (IFG), wonach Bürgerinnen und Bürger einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf die Informationen eines Amtes oder Behörde haben.
Die Begründung des Urteils ist eine amüsante Lektüre für alle Sprachakrobaten:

Der Anspruch auf Informationszugang nach § 1 IFG richtet sich zwar originär gegen die Behörden des Bundes. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG gilt dieses Gesetz aber auch für sonstige Bundesorgane und -einrichtungen, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Das tut der Beklagte für den hier fraglichen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach dem IFG gemäß § 50 Abs. 4 Satz 2 SGB II in seinem gesamten Zuständigkeitsbereich, also auch für die Aufgaben der kommunalen Träger.

Zwar hat das Gericht erhebliche Zweifel daran, dass es sich bei dem Beklagten um eine Behörde oder Bundeseinrichtung handelt. Nach § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amtssprache und nach § 184 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Bei der Bezeichnung „Jobcenter“ handelt es sich indes gerade nicht um eine aus der deutschen Sprache herrührende Begrifflichkeit. Von daher ist mehr als fraglich, ob eine unter dem Begriff „Jobcenter“ firmierende Einrichtung eine deutsche Verwaltungsbehörde sein kann Dies gilt ungeachtet dessen, dass im Bereich der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung in letzter Zeit vermehrt Anglizismen und andere Fremdworte Einzug gefunden haben, denn einer ordentlichen hoheitlichen deutschen Verwaltung ist auch eine deutsche Begrifflichkeit immanent. So gibt es in Hessen derzeit das „HCC— Hessisches Competence Center“, „Hessen Mobil“, „Hessisches Immobilienmanagement“ und auch bundesweit den Begriff „Agentur für Arbeit“, was aber noch nicht belegt, dass hiermit auch tatsächliche deutsche Verwaltungsbehörden gemeint sind; denn diese Bezeichnungen können auch unschwer mit aussagekräftigen, althergebrachten und einprägsamen Wörtern der deutschen Sprache belegt werden, etwa mit „Hessische Buchungsstelle“, „Hessisches Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen“, „Hessische Liegenschaftsverwaltung“ oder schlicht „Arbeitsamt“, wie es früher auch üblich und – besser- verständlich war. Einer alten Verwaltungsstruktur einen Fremdnamen zu geben modernisiert weder die Verwaltung noch gibt es andere Notwendigkeiten zur Verwendung fremdsprachlicher Begrifflichkeiten. Auch in der Gerichtsbarkeit findet vermehrt der Ausdruck „E-justice“ Verwendung, was ebenfalls auf ein fehlendes oder aber zumindest fehlerhaftes deutsches Sprachbewusstsein schließen lässt, denn justice bezeichnet gerade den altbewährten Begriff Gerichtsbarkeit. Dankenswerter Weise darf das Gericht noch als Verwaltungsgericht entscheiden und muss sich —noch- nicht „administrative court“ nennen und auch der HessVGH muss noch nicht als „hessian administrative court of appeal“ Recht sprechen. Aus Sicht des Gerichts haben derartige Anglizismen oder andere Fremdworte weder in der deutschen Gerichtsbarkeit noch im deutschen Behördenaufbau einen Platz. Bei weiterem Fort- schreiten derartiger sprachlicher Auswüchse erscheint infolge der verursachten Verwirrung die Funktionsfähigkeit des Verwaltungshandelns insgesamt gefährdet (vgl Die Heilige Schrift, 1. Mose 11, Verse 1, 7-9). Auch die Bezeichnung des Beklagten hätte man besser bei der alten Begrifflichkeit „Sozialamt“ belassen und statt der neu- deutschen Bezeichnung „Kunden“ trifft der Begriff „Antragsteller“ den Kern der Sache besser, denn im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Kunde König, was im Aufgabenbereich des Beklagten wohl nur seltenst der Fall ist. Ungeachtet dieser Zweifel ist aber der Beklagte zur Überzeugung des Gerichts richtiger Beklagter und materiell passivlegitimiert, denn er geriert sich zumindest als Behörde bzw. Bundeseinrichtung mit der Folge, dass ihn auch der Anspruch aus dem IFG trifft. Der Beklagte handelt innerhalb der deutschen Rechtsordnung wie eine Behörde und gibt sich, um einmal in der Begrifflichkeit des Beklagten zu bleiben, auch den „touch“ einer Behörde. Er agiert hoheitlich und mittels Verwaltungsakt und ist damit im Rechtsverkehr demzufolge auch wie eine Behörde zu behandeln.

Das Urteil im Langtext: Verwaltungsgericht Gießen Aktenzeichen 4 K 2911/13.GI

Leave a Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.