Türkei muss außenpolitische Linie finden

Referent Dr. Günter Seufert(links), stellvertretender GSP-Sektionsleiter Manfred Weider (rechts) Foto:Manfred Weider/nh

Frankenberg(wd/nh) Die Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V., Sektion Waldeck-Frankenberg (GSP) setzte mit ihrer Veranstaltung am Donnerstag, 19. März ihre Vortragsreihe zum Nahen Osten unter dem Titel „Der Supermann am Bosporus – die Türkei unter Staatspräsident Erdoğan“ fort.

 Vor voll besetztem Saal begrüßte der stellvertretende Sektionsleiter Manfred Weider den Referenten Dr. Günter Seufert. Mit seiner kurzen Vorstellung unterstrich Weider, dass die GSP einen Vortragenden verpflichtet hat, der das Land aus eigenem Erleben kennt. Seufert ist Jahrgang 1955, Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin. Ein Ausschnitt aus seinem Werdegang: 1996 Post-Doc Researcher, University of Lausanne, 1996-2001 Referent und dann akademischer Leiter des Orient-Instituts, Istanbul, 2001-2004 freier Autor und Journalist, Istanbul, 2004-2007 Visiting Associate Professor, University of Cyprus, Nikosia, 2007-2010 freier Autor und Journalist in Istanbul.

Seine Forschungsgebiete: Kurden im Nahen Osten, Türkei, Zypern, EU-Erweiterungspolitik, Europäische Union, Migration, Minderheiten, Politischer Islam / Islamismus.

Seufert begann mit der Frage:“Warum ist Recep Tayyip Erdoğan auch nach neun gewonnenen Wahlen so erfolgreich?“ Hier hat er alle Wahlen in der Türkei gezählt, Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen. Die Beliebtheit Erdoğans leitet Seufert von den Erfolgen seiner Reformen mit Beginn seiner ersten Ministerpräsidentschaft bei der Landbevölkerung ab, ein der zahlenmäßig stärksten Bevölkerungsgruppe. Besonders die Bekämpfung der Korruption, Abschaffung der Vorherrschaft des Militärs schlagen hier zu Buche. Dieser Teil der Bevölkerung wird von einem starken Zusammenhalt als gemeinsame muslimische Gesellschaft getragen. Seufert betonte dass es nicht die Religion und nicht die Ethnien sind, sondern eine gemeinsame muslimische Gesellschaft. Politisch war lange Zeit die Außenpolitik Ursache für diesen Erfolg. Die Umsetzung der Richtlinien des ehemaligen Außenministers, heute Ministerpräsident, Ahmet Davutoğlu brachte viel Sympathie im Volk. Davutoğlu wollte mehr Eigenständigkeit der Türkei. Diese sollte kein Anhängsel Europas sein. Dieser Weg wurde verstärkt eingeschlagen nachdem der damalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Beitrittsverhandlungen zur EU stoppte. Auch die Kritik an den USA und Europa, sowie die Vision als Leitnation den türkisch, arabischen Raum zu gestalten, stärkten das türkische Selbstbewusstsein. Davon ist wenig übrig geblieben, fuhr der Referent fort. Die Beliebtheit ihres Präsidenten ist bei der Landbevölkerung ungebrochen. Die Landflucht hat aber zahlenmäßig die innenpolitische Landschaft stark verändert. Die ländlichen Strukturen wurden dabei in die Städte mitgenommen. Bauern wurden zu Arbeitern. Keine Studierten sondern anatolische Bauern wurden Politiker. Es entstand eine neue Art Politiker. Es gab einen politischen Riss zwischen der alten Elite und der neuen politischen Klasse. Die schnelle Urbanisierung überfordert die Verwaltung, die Infrastruktur ist mangelhaft was die Unzufriedenheit stärkt. Die Städter sind sehr kritisch, verlangen tatsächliche Meinungsfreiheit und Mitbestimmung, demokratische Strukturen. Von den außenpolitischen Visionen ist nichts mehr übrig geblieben. So ist auch das Vorhaben, Energiedrehscheibe bei Erdöl und Erdgas zu werden, gescheitert. Den arabischen Raum bezeichnete er als semitischen Bereich, zu dem die Türkei nicht gehört. Die Bekämpfung Assads wird von Erdoğan nicht konsequent umgesetzt. Die Kurden sind durch ihren Einsatz bei der Bekämpfung des IS international aufgewertet worden. Damit haben diese eine wesentlich stärkere Stellung in ihren Forderungen gegenüber der Türkei. Die Kurden sitzen fest im Sattel der internationalen Gemeinschaft, sind legitimierte Akteure, führte Seufert aus. Er sieht auf lange Sicht die Entstehung einer Eigenständigkeit der Kurden, wie immer das Gebilde dann auch aussehen wird. Als Fazit sieht Seufert die außenpolitischen Ziele der Türkei als gescheitert. Es gibt keine erkennbare neue außenpolitische Strategie. Die Zusammenarbeit USA-Europa mit der Türkei steht auch nicht zum Besten. Hier scheint sich ein Wandel zum Guten abzuzeichnen. Innenpolitisch sieht er die größten Probleme der Türkei. Die Lösung ist aber Voraussetzung, für eine starke außenpolitische Einflussnahme. Somit wurde die durch das Thema gestellte Frage, ob Erdoğan der Supermann am Bosporus ist, relativiert.

Leave a Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.