Frankenberg(wd/nh) Die Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V., Sektion Waldeck-Frankenberg (GSP) setzte mit ihrer Veranstaltung am Mittwoch, 18. Februar die Themenreihe über die Krisengebiete fort. „Der Nahe Osten – Chaos mit oder ohne Perspektive?“, diese Frage sollte Dr. David Th. Schiller den Zuhörern, die Sektionsleiter Holger Schmör im voll besetzten Saal des Burgwald-Kasinos begrüßte, beantworten.
Schiller ist in Berlin, West 1952 geboren, ist nach dem Abitur nach Israel ausgewandert, hat dort die israelische Staatsbürgerschaft erhalten, den Wehrdienst geleistet und ab Anfang 1972 in einer israelischen Eliteeinheit gedient. Er hat teilgenommen 1973 am Yom Kippur-Krieg und 1982 am Krieg gegen den Libanon. Zurück in Deutschland studierte er Politikwissenschaften und Publizistik. Seine Diplomarbeit (Pol.) 1978 an der Berliner FU hat den Titel “Ethnisch-Konfessionelle Konflikte am Beispiel des Libanesischen Bürgerkriegs”. In 1982 promoviert zum Dr. rer.pol. mit der Doktorarbeit „Entwicklung der palästinensischen Nationalbewegung. Dieser Auszug aus dem Leben des Referenten zeigt, dass er nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht das Thema kennt, sondern auch aus eigenem Erleben.
Zunächst bat der Referent die Zuhörer zu versuchen in ihren Köpfen „unsere Denkweise“ auszuschalten. „Wir denken in Nationen, Staaten und Grenzen und meinen, dass dieses auch auf den Nahen Osten, die arabischen Länder zutrifft. Dies ist nicht so!“: stellte er klar.
Ich muss mit einem historischen Parforceritt beginnen, sonst ist vieles nicht zu verstehen, begann er seine Ausführungen. Die heutigen Konflikte haben ihre Ursachen in den Geschehnissen seit dem 7. Jahrhundert. Die Beherrschung durch die Türken, die Besetzung der Franzosen, Engländer und Italiener sind heute nach wie vor in den Köpfen der Bevölkerung. Der sich daraus entwickelte heute noch existierende Minderwertigkeitskomplex trägt ebenfalls zu der Ablehnung der westlichen Welt bei. Nach dem ersten Weltkrieg gründete sich die muslimische Bruderschaft, die heute in vielen Ländern des arabischen Raumes großen Einfluss hat. Saudi Arabien entstand langsam mit der Einführung des Wahabismus, eine Strömung zurück zum Ur-Islam. Die willkürliche Aufteilung der Region durch die fremden Mächte ohne Rücksicht auf Ethnien, Völker ist ebenfalls ein Nährboden für das permanente Chaos, führt Dr. Schiller weiter aus. Mit seine Karten und Bildern wurden die Ausführungen für die Zuhörer sehr gut nachvollziehbar. Im Nahen Osten lebt man mit anderen Zeitvorstellungen und hat andere Wertvorstellungen. Greueltaten, wie das Köpfen, die bei uns Erschrecken, Ablehnung und Entsetzten hervorrufen, werden dort als konsequent und Stärke anerkannt. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Putin hier große Anerkennung genießt. Diese Denke ist auch in einigen Köpfen unserer Gesellschaft, ist ein Grund warum gerade junge Menschen aus unserer Mitte sich dem Isalmischen Staat (IS) anschließen. Die Mediendarstellung, mit denen der IS den Terror instrumentalisiert, wird professionell hergestellt. Hinrichtungen werden inszeniert. Dies verfehlt ihre Wirkung nicht. Der Nahe Osten ist mit unseren Köpfen nicht zu fassen, wiederholte Dr. Schiller öfters in seinen Ausführungen. Immer wieder hat er mit Karten den Flickenteppich des Nahen Osten deutlich gemacht. Das Gemenge aus Religionen, Ethnien, Stämmen, Staaten in Grenzen, die nicht anerkannt werden.
Zum Islamischen Staat führt er aus: Der IS ist eine Lesart, eine Interpretation des Islam, eines sehr fundamentalistischen Islam. Eine sehr alte Bewegung, die sich immer neue Namen gegeben hat, in unterschiedlichen Regionen agierte, sich heute Islamischer Staat (IS) nennt. 1929 mit Entstehung der muslimischen Bruderschaft begann die Geschichte des IS. 1950 wurde der Weg ideolgisch fortgeführt. Der heutige IS ist ein Ableger von Al Qaida, 2003 – 2004 entstanden. Die IS-Kämpfer sind gut und modern ausgerüstet. Finanzielle Unterstützung kommen aus mehreren Quellen. In den von ihm beherrschten Regionen sind staatsähnliche Strukturen mit Verwaltung und sozialen Leistungen. Der IS weitet sich immer mehr nach Süden aus. Jemen ist ein Ziel. Von dort lässt sich mit wenig Aufwand der Sueskanal sperren. Dies würde uns direkt betreffen, stellte der Referent klar. Warenströme, die statt durch den Sueskanal fließen, um Afrika herum geführt werden müssen, bedeuten eine erhebliche Verteuerung. Die brutale Vorgehensweise der IS hat, auch durch den Abschuss eines jordanischen Piloten, eine Grenze überschritten, die von den arabischen Staaten nicht mehr hingenommen werden. Ob deren Bekämpfung große Wirkung hat, bleibt abzuwarten.
Das Chaos im Nahen Osten ist mit verursacht durch die westlichen Mächte und Russland. Dort sind heute noch zu wenige Kenner und Versteher für diese Region. Es werden noch immer eigene Ziele verfolgt ohne Rücksicht, wie sich dies auf die Region, letztlich global auswirkt. Auf die Frage, wie das Problem zu lösen sei, antwortete Dr. Schiller: Aaktuell, um den Terror ein Ende zu machen, nur militärisch. Das Sperren von Finanzmitteln, keine finanzielle Unterstützung und keine Waffenlieferungen mehr, wäre ein effektiver Weg. hierfür sehe ich aber keine Bereitschaft“. Die Antwort auf das Thema war eindeutig: Die Gefahren reichen bis in unsere Gesellschaften hinein. Im Nahen Osten herrscht Chaos und Perspektiven zur Friedensschaffung sieht er zur Zeit nicht. Sein engagiert, mit großem Realitätssinn vorgetragenes Referat beeindruckte die Zuhörer sehr. Nach gut zwei Stunden wurde der Vortrag beendet und hinterließ sehr nachdenkliche Zuhörer. Auch am nächsten Morgen, nach seinem Vortrag vor Oberschülern der Hans-Viessmann-Schule, gingen 90 Schüler ebenso betroffen und nachdenklich zurück in die Klassenräume.