Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. – Die Ukraine wird uns lange beschäftigen

Der stellvertretende  Sektionsleiter Manfred Weider, Referentin Dr. Margarete Klein, Verbindungslehrer Peter Wennerhold (Edertalschule) Foto: Manfred Weider/nh

Frankenberg(wd/nh). Zu ihrem zweiten Vortrag zum Themenbereich „Wie ticken die Großen“ hat die Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V., Sektion Waldeck-Frankenberg (GSP) am Dienstag, 4. November 2014 eingeladen. Stellvertretender Sektionsleiter Manfred Weider begrüßte vor 105 Zuhörern die Referentin Dr. Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin. Sie titelte ihr Referat „Was will Russland? Interessen und Motive russischer Außen- und Sicherheitspolitik“.

 Die große Zuhörerzahl in beiden Vorträgen, zu USA und nun zu Russland, zeigt der GSP, dass das Interesse der Bevölkerung an Hintergrundinformationen zur Sicherheitspolitik gestiegen ist, führte der Veranstalter aus. Mit Dr. Klein hat die GSP eine Spezialistin in Sachen Russland engagiert. Sie kennt den Staat nicht nur aus ihrem Studium heraus, sondern auch durch eigenes Erleben, sowohl durch einen Studiengang in Moskau, wie auch durch ihre Reisen in das Land. Zu Beginn schilderte sie ihre Betroffenheit über das, was in der Ukraine geschehen ist. Der Konflikt hat bis heute 4000 Tote und rund 100000 Flüchtlinge verursacht. Russland ist ein Zwitterwesen, führte sie aus. Sie ist Regionalmacht und Großmacht. Regionalmacht sei korrekt, denn in seinem direkten Umfeld ist Russland dominierend. Es kann bestimmen, den einfluss der umliegenden Staaten begrenzen. 

Großmacht schränkte Klein bei Russland ein. Politisch ist Russland eine Großmacht, Sitz im UN-Sicherheitsrat mit Vetorecht, ist in wichtigen Institutionen vertreten und hat großen Einfluss in internationalen Konflikten, Bsp.: Syrien, Irak. Militärisch steht Russland nur als Atommacht auf Augenhöhe mit den USA, im konventionellen Bereich nicht. Wirtschaftlich betrachtet ist Russland keine Großmacht. Klein sieht es auf Höhe Frankreich oder Italien. Die Abhängigkeit vom Verkauf ihrer Rohstoffe, hier kommen weit über 50% der Einnahmen her, macht Russland sehr krisenabhängig. Der Staat ist keine globale Großmacht wie die USA, hat aber den Anspruch eine zu sein.
Die Annexion der Krim ist für Klein eindeutig ein Bruch des Völkerrechts. Die schnelle Angliederung an Russland ist größtenteils einer schwachen Ukraine geschuldet. Die Ukraine hat zögerlich gehandelt und hatte auch nicht die militärische Stärke die Besetzung zu verhindern.
Einen Grund für die heutige Situation sieht die Referentin in dem geänderten Verhalten der westlichen Welt gegenüber Moskau. Die Zusammenarbeit auf etlichen Gebieten kühlte ab. Man bezog Russland nicht mehr so mit ein, wie es jahrelang geschah. Hier mahnte die Russland-Expertin wieder ein stärkes aufeinander Zugehen an. Dies würde sich auch positiv auf die Bewältigung internationaler Krisen auswirken, die nur gemeinsam zu lösen sind, z.B., der vordere Orient. Auch bemängelte sie, dass im Westen Russlandspezialisten fehlen. Wer den anderen kennt, versteht ihn besser, kann besser reagieren mit ihm zusammen arbeiten. Die Sanktionen gegenüber Russland waren und sind für die Referentin notwendig. Allein, dass dadurch Grenzen gesetzt wurden, rechtfertigt diese.
Das Verhalten des russischen Präsidenten Putin sei in erster Linie von innenpolitischen Schwierigkeiten geprägt. Er nutzt seine außenpolitischen Entscheidungen, um Herausforderungen von innen zu überdecken. Die Wirtschaft stagniert. Die Armut steigt. Klein zweifelt, ob für die Babyboomer der 50er Jahre, die jetzt auf die Rente zugehen, eine ausreichende Alterssicherung gewährleistet ist. Es gibt eine große unpolitische Mittelschicht, vor allem in den großen Städten Moskau und Leningrad, die größtenteils auswandern wollen. Damit verliert Russland qualifiziertes Personal. Die Protestbewegungen haben inzwischen auch ländliche Gebiete erreicht. Das Internet als Plattform für Protest wird immer stärker, ist nicht zu kontrollieren, zu regulieren.
Putin ist nicht der Putin aus seiner ersten Amtszeit, wo er weltoffener war. Heute orientiert er sich mehr auf nationale Werte. Er sei kein Autokrat sondern ein Moderator, der die verschiedenen Gruppen für sich nutzt und lenkt. Hier bindet er mehr die Nationalisten ein und lässt die Liberalen außen vor, was Klein für einen Fehler hält. Sein System ist nicht demokratisch, sondern autoritär. Die Presse- und Informationsfreiheit ist beschränkt. Die Opposition wird unterdrückt. Es herrscht ein informeller Elitenpluralismus, heißt eine enge Zusammenarbeit von Oligarchen, Militärführern und Geheimdienstlern, die mit Putin zusammen arbeiten. Putin sitzt nur fest im Dattel, weil es keine Alternative gibt.

Es wäre Kreml-Astrologie, wenn sie die zukünftigen Handlungsweisen Russlands erklären könnte, führte Klein aus. Hier sei alles offen. Die Frage, ist Russland saturiert, blieb im Raum stehen. Ein Szenario könnte sie sich, wie folgt, vorstellen: Eine neutrale Zone zwischen EU und Russland, in der die Staaten selbst entscheiden mit wem sie Handel und Wandel betreiben. Auf die Ukraine bezogen, führte sie noch aus, dass der Westen nicht für die Ukraine, höchstens mit der Ukraine verhandeln darf. Eine militärische Unterstützung könnte sie sich defensiv vorstellen. Wenn es denn erforderlich sei, könnte man die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützen. Abschließend sagte Dr. Klein, die Ukraine-Krise wird uns noch lange begleiten.

Den Vortrag veranstaltete die GSP auch am folgenden Vormittag in der Edertalschule. Verbindungslehrer Peter Wennerhold begrüßte die Referentin und den stellvertretenden Sektionsleiter Manfred Weider vor 130 Oberschülern. Die rege Diskussion zeigte, dass auch die jungen Erwachsene sich für die sicherheitspolitischen Zusammenhänge interessieren.

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