Gestorben in Theresienstadt

Frankenberg(nh). „Am 7. September 1942 werden die restlichen Juden aus dem Regierungsbezirk Kassel nach Theresienstadt abgeschoben“, hieß es in dem Befehl der Geheimen Staatspolizei Kassel. Bereits am Tag vorher mussten die letzten noch lebenden, vorwiegend älteren Frankenberger Juden um 7.27 Uhr in den Zug steigen, und auch an den Bahnhöfen von Gemünden/Wohra, Holzhausen/Eder und Itter begann die Deportation am selben Morgen.  Was bedeutete „abgeschoben“? An den Beginn einer qualvollen Reise dieser Menschen zum todbringenden Ghetto vor 75 Jahren erinnerten am Wochenende die Frankenberger Sozialdemokraten, als die Landtagsabgeordnete Dr. Daniela Sommer zu einer öffentlichen Veranstaltung über „Wegschauen oder Widerstand“ in das Stadtarchiv am Geismarer Tor eingeladen hatte.
Die „Stolpersteine“ für den Textilkaufmann Jacob Katzenstein am Haus Bahnhofstraße 1 (später Kickuth), seine Ehefrau Rosalie geb. Weitzenkorn und ihre Schwester Hedwig Weitzenkorn aus Korbach waren zuvor für die Frankenberger Jungsozialisten Treffpunkt zu einem Rundgang durch die Stadt. Dabei reinigten sie die 38 kleinen Messingplatten „Hier wohnte…“ mit den Daten aller von dem NS-Regime ermordeten Frankenberger Bürger und verlasen jeweils die von Stadtarchivar Dr. Hecker dazu verfassten Kurztexte. „Wir wollen diese Gedenkarbeit auch künftig alljährlich ganz praktisch mit Lappen und Putzmittel in Erinnerung an die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 weiterführen“, versprach Juso-Vorsitzende Jessica Heß.Am Beispiel von Kaufmann Katzenstein machte die Juso-Gruppe sowohl deutlich, was die Misshandlung und Verschleppung der jüdischen Familienväter nach der Pogromnacht 1938 in das KZ Buchenwald bedeutete, als auch die Deportation vier Jahre später in das NS-Ghetto Theresienstadt, wo angeblich ein von ihnen zuvor bezahlter „Alterseinsitz“ auf sie wartete: Innerhalb der ersten drei Monate kamen dort alle drei Familienmitglieder Katzenstein durch Hunger und Krankheit um. „Die Zivilcourage hat heute abgenommen, es gibt wieder Leute die wegschauen. Wir sollten stärker zusammenhalten und sozial agieren!“, warnte die Landtagsabgeordnete Dr. Daniela Sommer anschließend im Haus am Geismarer Tor, bevor dort weitere Dokumente und Bilder zur Judenverfolgung in der Pogromnacht 1938 in Frankenberg gezeigt wurden. Sie begrüßte unter den Teilnehmern als Zeitzeugen den Rentner Fritz Neuschäfer, der als zehnjähriger Junge den NS-Vandalismus in Synagoge und jüdischer Schule miterlebt hatte. Er schilderte auch, wie brutal der Kommunist Paul Pickel durch die NS-Schergen misshandelt wurde. Zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht im kommenden Jahr will ein Arbeitskreis von Regionalhistorikern eine Dokumentation über alle Ereignisse damals im Landkreis Waldeck-Frankenberger vorbereiten, kündigte Karl-Heinz Stadtler, Vorsitzender des Förderkreises Synagoge in Vöhl, an.

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