Frankenberg(pm). Die Alzheimer-Demenz ist eine häufige Erkrankung in Deutschland. Derzeit leben 1,8 Millionen Betroffene mit dieser Diagnose. In den nächsten 25 Jahren ist mit einer Zunahme auf 2,7 Millionen Betroffenen zu rechnen. Neben dem persönlichen Leid der Patienten, ist die Belastung der Angehörigen in der Betreuung und Pflege immens. Große Hoffnungen setzt die Medizin auf neue verlaufsmodifizierende Therapieansätze. Ein neues Präparat wurde im September 2025 für den europäischen Markt zugelassen. Dies nahm der Sektionsleiter der Neurologie am Kreiskrankenhaus Frankenberg, Dr. med. Wael Marouf, zum Anlass, seine niedergelassenen hausärztlichen und internistischen Kollegen zu einem Workshop in die Kreisklinik einzuladen. Das Ärzte-Team der Klinik sucht regelmäßig den Austausch mit den Ärzten aus der Umgebung, insbesondere wenn es um neue Behandlungsoptionen geht. Die Patienten aus der Region profitieren von einer engen Zusammenarbeit der Klinikärzte mit ihren Haus- und Fachärzten.
Kognitive Störungen können viele Ursachen haben
Wichtige Punkte zu Beginn der Fortbildung waren die Tests und Untersuchungen, die bei Verdacht auf eine Demenz notwendig sind und von Herrn Dr. Marouf präsentiert wurden. Er erklärte, wie man mit konkreten Testszenarien im klinischen Alltag herausfindet, welche Hirnbereiche betroffen und welche Funktionen dadurch eingeschränkt sind. Dazu werden Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren veranlasst. Ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik ist die Untersuchung des Nervenwassers, die durch eine Lumbalpunktion erfolgt. Dr. Marouf wies darauf hin, dass diese Untersuchung im Kreiskrankenhaus sowie im MVZ bereits seit mehreren Jahren etabliert ist. Zur Analyse spezieller Marker gehen die Proben in spezialisierte externe Labore. Angestrebt wird ein Ausbau der Kooperationen mit regionalen Kliniken zur Steigerung der Qualität der Patientenversorgung. Die Ursachen für dementielle Verhaltensstörungen sind vielfältig. Daher sollten sich Betroffene oder Angehörige keinesfalls mit einem altersbedingten unvermeidlichen Nachlassen der geistigen Fähigkeiten abfinden.
Bei den Untersuchungen in der Neurologie lassen sich durchaus behandelbare Ursachen feststellen, wie zum Beispiel: Nebenwirkungen von Medikamenten, ein Hirntumor oder ein Normaldruckhydrozephalus (zu viel Flüssigkeit im Kopf mit Folgen für Bewegung und Gedächtnis). Eventuell liegt die Ursache auch in einer bisher nicht diagnostizierten Erkrankung wie Morbus Parkinson, deren Fortschreiten und Symptome therapiert werden können. Dr. Marouf zeigte anhand vieler Beispiele, wie vielfältig die Gruppe der dementiellen Erkrankungen ist. Mit mindestens 60 % der Fälle ist die Alzheimer-Demenz jedoch die bei Weitem häufigste Diagnose.
Alzheimer-Diagnostik
An diesem Punkt überließ Dr. Marouf das Wort seinem Gast, Professor Dr. Niels Hansen von der Universitätsmedizin in Göttingen. Er praktiziert dort als Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und ist Leiter der Gedächtnisambulanz. Er zeigte anhand von Gehirn-Scans das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung, die charakteristische Strukturveränderungen bewirkt. Genauer ging er auch auf die Labordiagnostik der Proteine im Gehirnwasser und teilweise auch im Blut ein, anhand derer man die Diagnose bestätigen kann. Im Mittelpunkt stehen
Amyloid-Proteine und Tau-Proteine, von denen man schon seit vielen Jahren weiß, dass sie für Ablagerungen im Gehirn verantwortlich sind, die die Nerven schädigen. Der Prozess beginnt schon lange Zeit, nach aktuellem Kenntnisstand bis zu 20 Jahre, bevor Betroffene oder ihr Umfeld eine Einschränkung ihrer kognitiven Fähigkeiten wahrnehmen.
Antikörper-Therapie gegen Beta-Amyloid
Die bereits bei Alzheimer-Patienten eingesetzten Medikamente wirken, indem sie die Signalübertragung der Nervenzellen verbessern. Sie verlangsamen damit den geistigen Abbau und erhalten die Selbstständigkeit länger, nehmen aber nicht die Ursache der Nervenschädigungen ins Visier. Weitere Medikamente zur Therapie der Begleitsymptome wie Schlafstörungen, Unruhe, Aggressivität und Depression sind zusätzlich notwendig. Prof. Hansen berichtete über die großen Hoffnungen, die Mediziner in die Antikörpertherapie gegen Beta-Amyloid und die alternativen Behandlungsansätze setzen. Ein erst seit September dieses Jahres zugelassenes Medikament mit dem Wirkstoff Lecanemab ist ein solcher monoklonaler Antikörper. Er wird als Infusion verabreicht und ist gezielt gegen lösliche Beta-Amyloid-Protofibrillen gerichtet. Diese Protofibrillen sind Vorläufer der Amyloid-Plaques, die als eine zentrale Ursache für die Schädigung der Nervenzellen bei Alzheimer gelten. Die Antikörper binden im Gehirn direkt an diese Strukturen und markieren sie damit. Dadurch können sie vom Immunsystem als krankhaft erkannt und
von den körpereigenen spezialisierten Fresszellen, den Phagozyten, entfernt werden. Klinische Studien mit dem Wirkstoff beweisen, dass das tatsächlich funktioniert und die Belastung des Gehirns mit den unerwünschten Amyloid-Plaques abnimmt.
Frühe Diagnose: Der Schlüssel zur Therapie
Das Medikament ist kein Wundermittel. Es kann das Fortschreiten der Erkrankung merklich hinauszögern, aber nicht verhindern. Es ist auch nicht für jeden Patienten geeignet. Derzeit ist es für Patienten zugelassen, die sich in einer frühen Phase der Alzheimer-Demenz befinden und leichte kognitive und dementielle Störungen aufweisen. In späteren Stadien ist die Schädigung der Nervenzellen zu weit fortgeschritten und eine Antikörper-Therapie kann die Lebensqualität der Betroffenen nicht mehr verbessern. Prof. Hansen erklärte den anwesenden Hausärzten und
Internisten, wie man geeignete Patienten selektiert. Der Austausch der Klinikärzte mit den niedergelassenen Ärzten ist hier besonders wichtig, da sie ihre Patienten normalerweise länger und genauer kennen. Bei ihnen wird in der Regel die Verdachtsdiagnose Demenz erhoben und die Weichen für die weitere Diagnostik und Behandlung werden gestellt. Prof. Hansen erläuterte, welche Kontraindikationen bestehen, welche Risikofaktoren durch andere Erkrankungen die Nutzung von Antikörpertherapie gegen beta-Amyloid einschränken oder sogar verhindern. Ebenso ging er auf die notwendigen Untersuchungen während der Behandlungsphase und die möglichen Nebenwirkungen ein. In der anschließenden Diskussionsrunde wurde deutlich, dass sich ein Teil der niedergelassenen Kollegen Gedanken um die Kosten des Medikamentes und der therapiebegleitenden Untersuchungen macht. Wie bei allen neuen Medikamenten und Verfahren sind diese derzeit hoch und würden bei einer breiten Anwendung unser Gesundheitssystem belasten. Die finanzielle Bürde, die durch die wachsende Anzahl der hoch pflege- und betreuungsbedürftigen Alzheimer-Patienten auf der Allgemeinheit lastet, ist jedoch genauso in die Waagschale zu legen. Der anstehende Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses als zuständige Behörde für die Bewertung des Zusatznutzens und die Preisfestsetzung soll offene Fragen klären.
Licht am Horizont
In der Fachwelt herrscht vorsichtiger Optimismus, dass mit dieser ersten Zulassung eines Antikörper-Medikamentes in der Europäischen Union ein Durchbruch in der Alzheimer-Therapie erreicht wurde. Ein weiterer Antikörper mit dem Wirkstoff Donanemab wurde im November zugelassen. Wenn ein Wirkprinzip einmal den Praxistest bestanden hat, wird die Forschung den Weg weitergehen, noch passgenauere Wirkstoffe entwickeln und langfristig deren Anwendung vereinfachen und kostengünstiger werden lassen. Studien laufen bereits, die untersuchen, ob der Einsatz von Antikörpern gegen Beta-Amyloid in einem früheren Krankheitsstadium möglich ist und damit den Verlauf sogar stärker hinauszögern kann. Dr. Marouf plant für Mitte nächsten Jahres eine Informationsveranstaltung für Patienten und Angehörige, um die neuen Therapiemöglichkeiten zu erläutern. Bis dahin gilt es, erste Praxiserfahrungen in der Anwendung zu sammeln.





