Brennpunkt „Pflege“ im Kreishaus mit frischen Ideen im Kampf gegen den Fachkräftemangel und für eine menschenwürdige Pflege
Kreis Paderborn(krpb). Die Pflege ist weiblich: Meist sind es Frauen, die pflegebedürftige Angehörige versorgen oder in der Altenpflege beschäftigt sind. Bis 2030 werden im Kreis Paderborn zusätzlich 1330 Pflegekräfte gebraucht. Doch bereits jetzt kommt es zu Engpässen in der Versorgung. Wie kann es Unternehmen der Gesundheits- und Pflegebranche gelingen, Fachkräfte zu gewinnen und zu halten? Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch für Beschäftigte in der Pflegebranche sicherzustellen? Und wie kann man auch junge Menschen für den Pflegeberuf begeistern? Frische Ideen im Kampf gegen den Fachkräftemangel und für eine menschenwürdige Pflege stellten die Referenten beim Brennpunkt Pflege im Paderborner Kreishaus vor. Von Ausbildung in Teilzeit über neue Arbeitszeitmodelle bis hin zu Möglichkeiten, Kinder und Senioren gemeinsam in einem Haus betreuen zu lassen, während die Pflegekräfte ihrer Arbeit nachgehen, reichten die Ansätze. Landrat Manfred Müller zeigte sich zuversichtlich, dass der Gesetzgeber, beispielsweise durch Angleichung der Entlohnung in der Kranken- und Altenpflege, die Rahmenbedingungen verbessern werde. Er warb aber auch eindringlich für gute Nachrichten, was den Pflegeberuf angeht. „Ich bin überzeugt davon, dass in unseren Heimen im Kreis Paderborn wunderbare Arbeit geleistet wird“. Müller betonte zudem, dass der Pflegeberuf gerade jungen Menschen eine sichere berufliche Perspektive liefere, die weder krisen- noch konjunkturanfällig sei. „Dieser Beruf ermöglicht es, das, was man gelernt hat, und das, woran das Herz hängt, auch noch in 20 oder 30 Jahren auszuüben“, so Müller.
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Margot Becker, Sozialplanerin des Kreises Paderborn, erläuterte dass in 2017 rund 18 % der Bevölkerung im Kreis Paderborn älter als 65 Jahre war. In 2030 wird voraussichtlich jeder fünfte Einwohner im Kreis Paderborn das 65. Lebensjahr überschritten haben. Gleichzeitig steigt mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, irgendwann einmal auf Hilfe angewiesen zu sein. So steigt die Zahl der Pflegebedürftigen von 8.670 (Stand 2015) auf voraussichtlich 11.289 in 2030, was einem prognostizierten Zuwachs von 30,2 % entspricht. Natürlich möchten die meisten Menschen zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung so lange wie möglich bleiben. Immerhin 22 % könnten sich neue bzw. alternative Wohnformen wie Service Wohnen, Senioren-Wohngemeinschaften oder auch ein Mehrgenerationenhaus als Versorgungsform vorstellen (Quelle: Compass-Studie). Doch ob ambulant oder stationär: Alle Befragten wünschen sich gut ausgebildetes und motiviertes Pflegepersonal. Bis 2030 werden voraussichtlich rund 1.300 zusätzliche Pflegefachkräfte gebraucht. Becker betonte, dass es bereits jetzt Engpässe gebe und viele Menschen die Sorge umtreibe, sich irgendwann nicht mehr aussuchen zu können, wo und wie sie gepflegt werden möchten. Besseres Gehalt, mehr Personal, mehr Zeit für die Pflege, mehr Eigenverantwortung und weniger Bürokratie, mehr Wertschätzung und ein besseres Image, mehr Lobby für die Pflege sowie bessere Arbeitsbedingungen: Genau das wünschten sich die Pflegekräfte im Kreisgebiet bei ihrer Befragung durch den Kreis Paderborn. Andreas Heiber, Geschäftsführer System & Praxis Bielefeld, untermauerte mit Zahlen, dass es in erster Linie Frauen seien, die pflegen: Bei ambulanten Pflegediensten sind 87 Prozent der Beschäftigten weiblich, in stationären Einrichtungen wie Pflegeheimen 84 % (Stand 2015). Rund 40 % der Beschäftigten sind älter als 50 Jahre, was den Fachkräftemangel in den nächsten Jahren noch einmal verschärfen dürfte. „Die demografische Herausforderung beginnt jetzt“, betonte Heiber. Er warb für die Abkehr von der minutengetakteten „Rennpflege“: Kosten müssten differenziert erfasst und ausgewertet werden, z.B. nach Fahrt- und Wegezeiten und den eigentlichen Pflegezeiten, und das alles nach Qualifikation. Man müsse weg von den alten Schicht- und Denkmodellen und flexible Zeitmodelle anbieten, um auch auf variable Kundenwünsche eingehen zu können: Nicht jeder wolle um 20 Uhr ins Bett, Nachteulen nicht so früh aufstehen. Touren könnten unter Mütter aufgeteilt werden. Und warum sollte man nicht zu pflegende Angehörige und Kinder zur Tagespflege in ein Haus geben können. Pflegedienste sollten untereinander kooperieren, z. B. eine Rufbereitschaft einrichten, damit die Freizeit der Beschäftigten auch tatsächlich planbar ist. Eva Grosche ist Fachberaterin für Teilzeitausbildung bei In VIA in Paderborn. Zu ihr kommen zu 99 Prozent Frauen, die hoch motiviert seien, aber eben nicht einer Vollzeitausbildung nachgehen könnten, weil sie Kinder haben oder Angehörige pflegen oder sie aus welchen Gründen auch immer eine Ausbildung abgebrochen haben und zurück möchten ins Ausbildungs- und Arbeitsleben. Grosche betont, dass gerade in der Pflegebranche in Paderborn Teilzeitausbildungen so erst mal nicht vorgehen seien. Sie zeigt sich überzeugt, dass die Unternehmen hier wertvolle Fachkräfte finden könnten, wenn die Kinder gut und sicher betreut seien, wenn mehr Teilzeitausbildung angeboten würden und „wenn alle mitziehen“, so Grosche. Dr. Lydia Riepe, Projektleitung SchuBS, Creos GmbH/InnoZent OWL e.V., stellte das seit 10 Jahren erfolgreiche Projekt SchuBS (Schule und Betrieb am Samstag) vor. In SchuBS bekommen Jugendliche am Ende der Sekundarstufe 1 Einblicke in bestimmte Berufsbereiche. Dazu kommen Vorstellungstraining und Unternehmensbesuche. An 22 Wochenenden innerhalb eines Jahres engagieren sich die Jugendlichen außerhalb der regulären Schulzeit. SchuBS vermittelt seit vier Jahren auch Einblicke in soziale Berufe und ermöglicht das Kennenlernen von Pflegeberufen. Auch hier könne der Weg in den Wunschberuf gefunden und geebnet werden. Den Abschluss des Brennpunktes bildete ein von Dr. Angela Siebert (Kompetenzzentrum Frau und Beruf OWL) moderiertes Gespräch mit zwei Auszubildenden in Teilzeit, die eine wahre Odysee hinter sich haben. Yasmin Serrati hatte bereits vor Jahren einen schulischen Platz für die Teilzeitausbildung zur Altenpflegerin, konnte aber als alleinerziehende Mutter keinen Ausbildungsbetrieb im Kreis Paderborn finden. Deshalb absolvierten sie zunächst die Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin in Teilzeit und traf dort Sarah Hellmich. „Ihr Engagement, die freundliche Hartnäckigkeit und gegenseitige Motivation hat die Suche nach einem Ausbildungsbetrieb für beide erfolgreich werden lassen“, betont Siebert, die eindringlich dafür warb, dass Frauen sich untereinander vernetzen und unterstützen sollten. Veranstalter des Brennpunkts war das Kompetenzzentrum Frau und Beruf OWL in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung, dem Sozialamt und der Gleichstellungsstelle des Kreises Paderborn. Dr. Angela Siebert führte als Moderatorin durch diese Veranstaltung. Der Vortrag von Margot Becker ist bereits sind unter www.kreis-paderborn.de einsehbar.