Kämpfen wollen, um nicht kämpfen zu müssen

 Referent Norbert F. Tofall und  stellvertretende GSP - Sektionsleiter Manfred Weider. Foto: M.Weider/nh

Frankenberg(M.Weider/nh). Norbert F. Tofall, Senior Research Analyst vom Flossbach von Storch Research Institut Köln, den der stellvertretende Sektionsleiter der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V., Sektion Waldeck-Frankenberg (GSP) vor zahlreichem Publikum begrüßte,  hatte seinen Vortrag „Zur Wirksamkeit von Wirtschaftssanktionen und möglichen Alternativen“ auf den Ukraine-Konflikt zugeschnitten.

 Tofall begann mit der Zitierung aus der KSZE-Schlussakte 1975 und zitierte: „In der Schlussakte von Helsinki ver­pflichteten sich am 1. August 1975 die Teilnehmerstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), aus der 1994 die heutige Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hervorgegangen ist, „ihre souveräne Gleichheit und Indi­vidualität sowie alle ihrer Souveränität innewohnenden und von ihr umschlossenen Rechte (zu) achten, einschließlich insbesondere des Rechtes eines jeden Staates auf rechtliche Gleichheit, auf territoriale Integrität sowie auf Freiheit und politische Unabhängigkeit. Sie werden ebenfalls das Recht jedes anderen Teilnehmerstaates achten, sein politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System frei zu wählen und zu entwickeln sowie sein Recht, seine Gesetze und Verordnungen zu bestimmen. Im Rahmen des Völkerrechts haben alle Teilnehmerstaaten gleiche Rechte und Pflichten. Sie werden das Recht jedes anderen Teilnehmerstaates achten, seine Beziehungen zu anderen Staaten im Einklang mit dem Völkerrecht und im Geiste der vorliegenden Erklärung zu bestimmen und zu gestalten, wie er es wünscht. Sie sind der Auffassung, dass ihre Grenzen, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, durch friedliche Mittel und durch Vereinbarung verändert werden können. Sie haben ebenfalls das Recht, internationalen Organisationen anzugehören oder nicht anzugehören, Vertragspartei bilateraler oder multilateraler Verträge zu sein oder nicht zu sein, einschließlich des Rechtes, Vertragspartei eines Bündnisses zu sein oder nicht zu sein; desgleichen haben sie das Recht auf Neutralität.“

Der Referent führte dann aus: Dies und insbesondere das Recht auf freie Bündniswahl wurden am 21. November 1990 im Schlussdokument der KSZE-Sondergipfelkonferenz, der „Charta von Paris für ein neues Europa“, vertraglich bestätigt. Nach dem endgültigen Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus und der Sowjetunion 1991 bestätigte Russland zum einen durch seine Mitgliedschaft in der OSZE diese vertraglichen Vereinbarungen. Zum anderen verpflichtete sich Russland im Budapester Memorandum vom 5. Dezember 1994, die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Ukraine sowie von Weißrussland und Kasachstan (Art. 1) sowie deren politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu achten (Art. 2 f.). Zur Historie des Konflikts zeiget er auch Fehler der westlichen Politiker auf. Otto von Habs­burg (1912 – 2011) warnte in den letzten zehn Jahren seines Lebens ständig vor Putins Politik. So schreibt er bspw. im Jahr 2006: „In der Zeit von Stalin bis Putin hat sich der russische Imperialismus immer wieder das Ziel gesetzt, die Ukraine erneut zu erobern, Russland einzuverleiben und als Ausgangspunkt für weitere große Operationen gegenüber Polen, beziehungsweise den anderen Teilen Europas, zu nutzen.“ Dies ignorierten westliche Staatsmänner alles bis zum Frühjahr 2014. Weiterhin sagte Norbert Tofall:“ wenn es bei den Wirtschaftssanktionen gegen Russland nur darum geht, Russland zu bestrafen, würde ich nun den Vortrag beenden.“ Ziel aller Maßnahmen gegenüber Russland, auch der Wirtschaftssanktionen, ist es aber, Russland auf die Grundlage der Verträge von Helisinki, Paris und Budapest zurück zu bringen.

Dann ging der Referent auf die Wirkung der Sanktionen ein. Keine der Maßnahmen hat das oben beschriebene Ziel erreicht. Sie haben keine Änderung der russischen Politik erwirkt. Es konnte keine innenpolitische Bewegung gegen Putin gestärkt oder vergrößert werden. Im Gegenteil, Putins Ansehen stieg, die Hartliner bekommen Zuspruch. Tofall sieht den Ukrainekonflikt noch auf Jahre andauern. Putin hält den Konflikt auch am „köcheln“, um von den großen innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Er führte aus: In seiner Rede am 17. Oktober 2011 betrachtet Wladimir Putin spätestens die postsowjetischen Staaten als weggebrochene Teile eines einzigen Staates: „Die Sowjetunion ist zusam­mengebrochen. Doch woraus bestand die Sowjetunion? Aus Russland. Sie hieß nur anders.“ Und bereits 1994 erklärte der damals noch weithin unbekannte Putin bei den 101. Bergedorfer Gesprächen der Körber Stiftung in St. Petersburg, „daß Rußland im Interesse der allgemeinen Sicherheit und des Friedens in Europa freiwillig riesige Territorien an die ehemaligen Republiken der Sowjetunion abgegeben hat; darunter auch solche Territorien, die historisch immer zu Rußland gehört haben. Ich denke dabei nicht nur an die Krim oder an Nordkasachstan, sondern beispielsweise auch an das Kaliningrader Gebiet. Die Folge ist, daß jetzt plötzlich 25 Millionen Russen im Ausland leben, und Rußland kann es sich einfach nicht leisten – allein schon im Interesse der Sicherheit in Europa;-, daß diese Menschen willkürlich ihrem Schicksal überlassen bleiben“

Der Referent sieht die Gefahr, dass sich Putin ermutigt fühlt, die fünfundzwanzigprozentige russische Minderheit in Estland, die neunundzwanzigprozentige russische Minderheit in Lettland oder andere russische Minderheiten in anderen Ländern durch seine Methoden zu schützen. Dann könnte der neue kalte Krieg sehr schnell zu einem heißen werden und nicht nur in Osteuropa. Auch die Balkankriege vor unserer Haustür können durch diese politischen Blut-und-Boden-Methoden schnell wieder entfacht werden.  Mit Blick in die Zukunft erinnerte Tofall an die Zeiten des Kalten Krieges. Damals hatte die Politik der Abschreckung Wirkung gezeigt. Wirtschaftssanktionen, die ja beiden Seiten schaden, ist nicht der erfolgversprechende Weg. Er schlägt vor Truppen in den Baltikstaaten zu stationieren. Am wirksamsten, sagte er, wären US-Truppen. Für eine Stationierung deutscher Truppen sieht er keine Zustimmung. Deutschland hat nach dem Krieg unter dem Schutz anderer verlernt geostrategisch und realitätsnah zu denken und handeln. Tofall zitierte das Wort des verstorbenen Altkanzlers Helmut Schmidt „Kämpfen wollen, um nicht kämpfen zu müssen“. Die anschließende Diskussion zeigte, dass die Vergangenheit beider Seiten dominiert und der Blick in die Zukunft mit Nennung von Alternativen hinten an steht.

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