„Ich bin nach Auschwitz gefahren, um zu fotografieren und zu scheitern“

– Sonderausstellung „Auschwitz – Fotografien aus dem Unsichtbaren“ vom 26. Januar bis 23. März 2014 in der Wewelsburg – Ergreifende Ausstellungseröffnung im Rahmen des Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust

Fotograf Christoph Gödan, Landrat Manfred Müller, Kuratorin Julia Trillhof (Volontärin im Kreismuseum Wewelsburg) sowie Museumsleiterin Kirsten John-Stucke bei der Ausstellungseröffnung

 

Büren (krpb/nh). Auschwitz: Neun Buchstaben, die für das Grauen stehen. Ein Ort, der Synonym ist für die systematische Ermordung von Millionen unschuldiger Menschen. Für die grausamen Verbrechen der Nationalsozialisten an Juden, Sinti und Roma. Wie kann man vermitteln, was heute noch unfassbar ist? Fotograf Christian Gödan besuchte diesen Ort und hielt seine Eindrücke mit der Kamera fest. „Ich bin nach Auschwitz gefahren, um zu fotografieren und zu scheitern“, sagt er. Zwanzig ausgewählte Aufnahmen, zusammen mit Gedichten und Textauszügen über das Leben in Auschwitz und den Holocaust, sind in der Sonderausstellung „Auschwitz – Fotografien aus dem Unsichtbaren“ zusammengefasst, die noch bis zum 23. März in der Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933 – 1945 gezeigt wird.

„Tief haben sich die Motive zu Auschwitz, die Rampe in Birkenau oder das Lagertor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ in unser kulturelles Gedächtnis eingebrannt. Wir meinen die Bilder von Auschwitz zu kennen und in ihnen das Leid von Millionen zu sehen“, sagte Landrat Manfred Müller bei der Ausstellungseröffnung. Der Fotograf Christian Gödan habe einen anderen Zugang gewählt. Während seines dreiwöchigen Aufenthaltes in der Gedenkstätte des ehemaligen Vernichtungslagers sei er auf der Suche nach Schatten in dunklen Räumen, fragwürdigen Objekten und irgendwelchen Konstellationen gewesen. „Ein eigenartiges Spiel ist das, in ruinenhaften Gebäuden mit der Kamera umherzuschweifen und etwas im Nacken zu haben, das mir immer wieder sagt, wo ich bin und das schwer ist, wie ein Stein“, beschreibt Gödan seine Zeitreise. „Während ich durch den Sucher schaue, sagt die Stimme im Nacken: „Lächerlich“.

Die für die Ausstellung ausgewählten zwanzig Fotografien vermitteln seine subjektive Sicht auf die architektonischen Reste des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Sie zeigen, dass ein fotografischer Blick auf die historischen Abgründe dieser Reste immer an den Elementen des Grafischen scheitert und sich einer Sinngebung entzieht. Was dem Fotografen bleibt, ist das Spiel mit der Perspektive. Er überlässt dem Betrachter die Verortung der Motive. Bei den extra für diese Ausstellung neu bearbeiteten Abzügen legt Gödan Wert darauf, das vorhandene Licht der Fotografie zu entnehmen. Hierdurch sind Fotografien entstanden, deren Motive mit Licht und Schatten verschmelzen. Der Fotograf erzählte im Interview mit Museumsleiterin Kirsten John-Stucke, dass es für ihn erschreckend und interessant zugleich sei, dass die Bilder ästhetisch seien, weil sie aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Wer niemals in Auschwitz gewesen sei, habe nicht gleich eine Assoziation mit dem Gesamtbild. Er bedankte sich bei John-Stucke, dass sie seine Idee zur Ausstellung sofort mit großem Interesse angenommen und umgesetzt habe. Sein Wunsch sei es, dass die Ausstellung auch noch an anderen Orten gezeigt werde.

Die Fotografien werden zusammen mit Gedichten und Textauszügen über das Leben in Auschwitz und den Holocaust ausgestellt. Die Autoren sind (mit einer Ausnahme) persönlich von der nationalsozialistischen Judenverfolgung im Dritten Reich betroffen gewesen, einige wurden selbst nach Auschwitz deportiert. Das Unsichtbare der Bilder findet seine Fortsetzung in den erschütternden Erzählungen: So rezitiert Willi Hagemeier vom Theater Paderborn in schockierender und beeindruckender Weise zugleich im Rahmen der Ausstellungseröffnung von Tadeus Borowski in „Bei uns in Auschwitz“, wie er als junger KZ-Häftling auf dem benachbarten Feld Fußball spielte, als er sah, wie aus einem Güterwaggon Menschen ausstiegen und zum Wald gingen. „Von weitem sah ich nur die bunten Kleckse der Frauenkleider. Offenbar trugen die Frauen Sommerkleider, zum ersten Mal in diesem Jahr. Die Männer hatten ihre Jacken ausgezogen, die weißen Ärmel der Hemden leuchteten“, schreibt er. Nach ein paar Spielzügen schaute er wieder zur Rampe und erstarrte. Sie war leer. „Zwischen zwei Eckbällen hatte man hinter meinem Rücken dreitausend Menschen vergast“. Aufrüttelnd auch der „Chor der Geretteten“ der Nobelpreisträgerin Nelly Sachs. „Wir Geretteten, Aus deren hohlem Gebein der Tod schon seine Flöten schnitt, An deren Sehnen der Tod schon seinen Bogen strich – Unsere Leiber klagen noch nach – Mit ihrer verstümmelten Musik“, lautet ihr Lied. „Wir Geretteten bitten euch: Zeigt uns langsam eure Sonne. Führt uns von Stern zu Stern im Schritt. Laßt uns das Leben leise wieder lernen“. Die Eröffnung wurde musikalisch auf dem Akkordeon eindrucksvoll abgerundet von René Madrid von der Kreismusikschule Paderborn.

Um die Erinnerung wach und laut zu halten, eine Wiederholung zu vermeiden, „gedenken wir seit 1996 der Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar“, sagte Landrat Manfred Müller zum Ende der Ausstellungseröffnung. Der Kreis Paderborn habe es sich zur Aufgabe gemacht, der Opfer der NS-Verbrechen zu gedenken und gleichzeitig eindeutige Zeichen gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu setzen und sich für Toleranz und Integration einzusetzen. Deshalb hatten der Gedenkverein 2. April – Verein wider das Vergessen und für Demokratie e.V. und das Kreismuseum Wewelsburg vor der Eröffnung der Sonderausstellung eine Informationstafel auf dem Gelände des ehemaligen Appellplatzes des KZ Niederhagen eingeweiht. Die Tafel informiert über die Geschichte des Konzentrationslagers Niederhagen und über das Entstehen und die Aktivitäten des Vereins 2. April. Der Landrat und Bürens Bürgermeister Burkhard Schwuchow betonten beide, dass die Infotafel helfe, den historischen Ort im Ganzen verstehen zu können. „Lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, Demokratie und Menschlichkeit in unserem Herzen zu halten“, sagte der Landrat abschließend.

Der Eintritt in die Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933 – 1945 und die Sonderausstellung „Auschwitz – Fotografien aus dem Unsichtbaren“ sind kostenlos. Weitere Infos im Internet unter www.wewelsburg.de

Einweihung der Infotafel auf dem Gelände des ehemaligen Appellplatzes des KZ Niederhagen – von links nach rechts Landrat Manfred Müller, Volker Kohlschmidt (Gedenktag 2. April in Wewelsburg – Verein wider das Vergessen und für Demokratie e.V.), Burkhard Schwuchow, Bürgermeister der Stadt Büren

 

Hintergrund Konzentrationslager Auschwitz:

Im Konzentrationslager Auschwitz starben in den Jahren 1940 bis 1945 über 1,5 Millionen Menschen – unter ihnen vor allem Juden, Sinti und Roma. Das KZ war ein Lagerkomplex bestehend aus dem Auschwitz-Stammlager, dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und dem Arbeitslager Auschwitz-Monowitz. Diese drei Konzentrationslager wurden von 1940 bis 1945 am Westrand der polnischen Stadt Owięcim errichtet. Zu dem Lagerkomplex gehörte auch eine Vielzahl von Neben- oder Außenlagern in der Region. Die europaweit gefangen genommenen Menschen wurden per Bahn in das KZ Auschwitz transportiert. Es handelte sich um die räumlich größte Ansammlung von Konzentrationslagern des Deutschen Reichs.Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit. Beim Eintreffen fand sie noch rund 5.800 entkräftete und kranke Häftlinge vor. Seit 2005 wird am Jahrestag der Befreiung nicht nur der Opfer in Auschwitz, sondern aller Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Ausgerufen durch die Vereinten Nationen ist es der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.In der Nachkriegszeit ist „Auschwitz“ zu einem Symbol für den Holocaust geworden. Heute befindet sich auf dem Gelände eine Erinnerungs- und Gedenkstätte, das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau.

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