Wie viel Sanierung verträgt eine Stadt?

Von Harald Becker

Die Frankenberger Fußgängerzone war schon ein Streitthema, bevor es sie überhaupt gab. Welch Widerstand hat sich damals vor 35 Jahren bei den Frankenberger Kaufleuten dagegen geregt, dass künftig keine Autos mehr durch die Neustädter Straße fahren und damit direkt vor den Geschäften parken durften. Glücklicherweise haben sich diese Befürchtungen, die für die damalige Zeit gar nicht so außergewöhnlich waren, als unbegründet erwiesen und Frankenberg konnte seinen Ruf als Einkaufsstadt mit Herz weiter ausbauen. Es wäre interessant, zu sehen, was heute wäre, hätte sich Bürgermeister Sepp Waller nicht durchgesetzt mit seiner Idee.
Dahingehend gibt es durchaus Parallelen zu der heutigen Situation. Aber nur auf den ersten Blick. Während die Neustädter Straße damals im Sanierungsgebiet lag und den Eigentümern damit hohe Anliegergebühren erspart blieben werden sie heute im großen Umfang zur Kasse gebeten. Außerdem handelte es sich damals um eine mehr oder weniger gut angenommene Einkaufsstraße und Leerstand war in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts kein Thema, über das man sich große Gedanken machen musste.
Heute aber ist das anders, die Kunden sind mobiler und das Internet hat sich zu einem der größten Konkurrenten des stationären Einzelhandels entwickelt. Klar, dass man da bemüht sein muss, gerade das Zentrum in Schuss zu halten. Mir stellt sich aber die Frage ob eine grundhaft erneuerte Straße in der Lage ist, die Funktion des Kundenmagneten zu übernehmen. Ist das nicht einfach zu kurz gedacht? Wonach entscheiden Sie, ob Sie in ein Geschäft gehen oder eine Stadt zum Einkaufen besuchen? Ist es der Straßenbelag oder vielleicht eher doch das Angebot der Händler? Keine Frage, nach 35 Jahren ist eine Renovierung absolut notwendig, aber ist die Fußgängerzone als Straße wirklich so unattraktiv, wie das immer behauptet wird?
Besonders schwer ist es damit für die Hauseigentümer. Einerseits möchten sie natürlich, dass ihre Ladenlokale gut vermietet werden können und sind damit auf ein attraktives Umfeld angewiesen. Auf der anderen Seite aber kommen in der jetzigen Planung Kosten in teilweise hohen fünfstelligen Beträgen auf sie zu. Ich bin mir sicher, dass viele der Betroffenen dieses Geld schlicht nicht aufbringen kann und eventuell sogar vor dem finanziellen Ruin stehen, sollte keine andere Lösung gefunden werden. Das kann bei allem berechtigten Wunsch nach Sanierung der Neustädter Straße und der Ritterstraße nicht das Ziel sein.
Eine besonders unglückliche Rolle spielt für mich dabei die politische Führung der Stadt. Anstatt sich mit allen Beteiligten zusammenzusetzen und für alle tragbare Konzepte zu entwickeln, versuchen die Verantwortlichen um den Bürgermeister und die CDU das Projekt im Hauruck-Verfahren durchzudrücken als gäbe es kein Morgen. Fragen nach Fakten werden der Presse nach mit dem Hinweis abgebügelt, man wäre nicht das Bauamt. Sollte ich mich aber nicht gut informieren, wenn ich als verantwortungsbewusster Stadtverordneter eine Maßnahme beschließe? Erst recht, wenn es sich um ein solch brisantes Projekt handelt. So drängt sich leicht der Eindruck auf, man ginge lediglich in die Sitzungen um die Sachen abzunicken, die man vorgesetzt bekommt.
Ich denke, eine Sanierung ist nicht von vornherein gut für eine Stadt. Viele verschiedene Faktoren sind zu beachten, die in diesem Fall anscheinend völlig außer Acht gelassen wurden. Richtungsentscheidungen zu treffen sind das eine und man kann trefflich über den Sinn oder Unsinn streiten. Sobald man aber dem Bürger massiv in die Tasche greifen will ist es unabdingbar, mit den Betroffen einen breiten Konsens zu finden.
Wenn hier nicht noch ein Kurswechsel erfolgt, zerstört man nicht “nur” Existenzen, sondern auch immens viel Vertrauen der Bürger in die Stadtpolitik. Und damit hat man in seiner Verantwortung versagt.

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